Donnerstag, 31. Dezember 2009

Fazit 2009

Ein Jahr mit einigen Veränderungen ist fast zu Ende. Einige Vorsätze, wie die Wiederbelebung meiner Fotografiererei oder der Ahnenforschung ließen sich aus Zeitgründen leider nicht verwirklichen, dafür hab ich - völlig unerwartet - ein Fernstudium aufgenommen und nebenbei ohne größere Anstrengungen meinen BMI von 30 auf 24 bekommen. Mal sehen, was 2010 so bringt, neben Gesundheit für meine Familie und den Freundeskreis sowie ein wenig Glück für den Studienkram wünsch ich mir natürlich den WM-Titel für die DFB-Elf und viele neue interessante Erfahrungen. Darauf ein Glas Sekt zu gegebener Zeit, gehabt Euch wohl und bis demächst an gewohnter Stelle - guten Rutsch!

Noch ein wenig Statistik: etwa 100 Posts weniger als im Jahre 2008 (erwähnte ich schon den Zeitmangel?), insgesamt inklusive diesem Eintrag 932 Blogbeiträge seit dem Start vor genau zwei Jahren.

Buch-Rezensionen (178): Ernst Günther - 33 Zirkusgeschichten (1977)

(Cover: Amazon.de)

Das Zeitalter des Zirkus mit seiner Blüte im 20. Jahrhundert ist allem Anschein nach endgültig vorbei. Verflogen die Faszination, wenn ein oder zwei Mal im Jahr einer der drei großen DDR-Staatszirkusse in unsere Kleinstadt kam und dies ein ganz besonderes gesellschaftliches Ereignis darstellte. Heutzutage kämpfen zig kleine und kleinste Unternehmen um Zuschauer und Einnahmen, kritisiert von Tierschützern und ignoriert von der breiten Masse, die im um Größenordnungen breiter gewordenen Unterhaltungsangebot zumeist andere Dinge favorisiert.

Dieses 1977 in der DDR erschienen Buch widmet sich in 33 Episoden Anekdoten, Personen und Historie des Zirkus. Dies geschieht nicht im dokumentarischen Stil, sondern im nacherzählendem Tonfall - Geschichten eben. Der Bogen reicht von den Anfängen des Zirkus der Neuzeit durch die Gründung einer Kunstreitschule durch Philip Astley im Jahre 1768 bis hin zu der weltweit zu Berühmtheit gelangten Eisbärendompteuse Ursula Böttcher.

Breiter Raum wird dabei Unfällen und Katastrophen im Zirkusgeschäft eingeräumt. Seien es die tragischen Tode der Dompteuse Helen Bright (1879) oder der Kunstreiterin Emilie Loisset (1882), dem durch mutmaßliche Brandstiftung hervorgerrufenen Großfeuer im Zirkus Sarrasani (der durch das spezielle Interesse des Buchautors mehrfach in den Geschichten vertreten ist) in Antwerpen 1932, dem Trapezunfall der Artistin Greta Frisk 1963 oder der in Skandinavien zum Allgemeinwissen gehörenden unglücklichen Liebesgeschichte der Seiltänzerin Elvira Madigan. Zudem werden in diversen Geschichten prominente Zirkusdirektoren wie Ernst Jakob Renz, Scipione Ciniselli oder Carl Krone porträtiert.

Gerade weil viele der im Buch aufgeführten Protagonisten heute weitestgehend vergessen sind, gebührt Ernst Günther für seine zusammentragende Arbeit großer Respekt. Der armlose Geiger Carl Hermann Unthan, die Hochseilartistin Maria Spelterini, der Trapezkünstler Jules Léotard, der Springclown Jean-Baptiste (Louis) Auriol mögen zu ihrer Zeit Superstars gewesen sein, heute jedoch findet sich selbst im weltweiten Netz kaum noch Material zu diesen Vertretern einer scheinbar untergegangenen Epoche. Eine faszinierende Sammlung mit zum Teil seltenen Fotos! Einzig und allein eine Handvoll eher belanglose Kapitel ziehen die Wertung geringfügig nach unten.

Bewertung: 4 von 5

Mittwoch, 30. Dezember 2009

DVD-Rezensionen (178): WM-Klassikersammlung, Ausgabe 30 - Finale 1954 BR Deutschland - Ungarn (3:2) (2006)

(Cover: Amazon.de)

Im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland veröffentlichte die "BILD am Sonntag" zusammen mit dem Sammelserien-Spezialisten DeAgostini eine ursprünglich auf 30 Ausgaben angelegte, dann aber mit den hinzugefügten sieben Spielen der DFB-Elf bei der WM auf 37 DVDs erweiterte Reihe, die große Partien der deutschen Elf bei Weltmeisterschaften sowie einige Klassiker ohne deutsche Beteiligung in nicht-chronologischer Reihenfolge enthielt. Allen Scheiben war ein Begleitheft mit weiterführenden Informationen über Vorgeschichte, Hintergründe sowie statistischen Elementen wie Aufstellungen etc. beigefügt.

Achja, das "Wunder von Bern". Wahrscheinlich wird es für uns "Nachgeborene" trotz zig Dokus, Spielfilme und Bücher nie komplett nachzuvollziehen sein, was dieses Spiel für die noch junge Bundesrepublik bedeutet hat. Aber ansatzweise lassen sich auf dieser DVD mehrere Dinge nacherleben.

Bekanntlich existiert keine vollständige Bildaufzeichnung dieses Finales der Weltmeisterschaft 1954. Die DVD behilft sich deshalb hier mit einer von der ZDF-Zeitgeschichteredaktion um Guido Knopp erstellten etwa 60-minütigen Rekonstruktion aus Wochenschau-, Film- und Amateuraufnahmen, teilweise sogar in Farbe, punktgenau unterlegt mit Herbert Zimmermanns legendärem Radiokommentar, wohl das Glanzstück deutscher Rundfunkgeschichte. Zum Zweiten lässt sich auch in diesen wenigen Ausschnitten das Können der Ungarn, zum damaligen Zeitpunkt die beste Mannschaft der Welt und seit vier Jahren ungeschlagen, erahnen. Sicherlich wirkt das aus heutiger Sicht etwas langsam und unmodern, aber in irgendeiner faszinierenden Weise auch genial. Es ist durchaus nachzuvollziehen, dass die "Pusztasöhne", wie Zimmermann immer wieder so überschwänglich sagt, die Niederlage als eine nationale Katastrophe empfanden, es gibt ja inzwischen interessante Untersuchungen über die Zusammenhänge dieses verlorenen Endspiels mit dem ungarischen Volksaufstand zwei Jahre später.

Etwas verdruckst mit "Originalton 1954" unterlegt ist die Siegerehrungssequenz, als das deutsche Publikum, wohl noch etwas ungeübt mit den neuen Umständen, neun Jahre nach Kriegsende bei der Nationalhymne doch tatsächlich aus alter Gewohnheit "Deutschland, Deutschland über alles" anstimmte, was damals im Ausland äußersten Unmut hervorrief.

Um die Lauflänge der DVD etwas anzuheben, befindet sich noch etwas Bonusmaterial mit Interviews von ehemaligen Spielern, Radiomoderatoren und damaligen Zuschauern auf der Scheibe. Auf jeden Fall ein tolles Zeitdokument!

Bewertung: 5 von 5

CD-Rezensionen (177): Coldplay - X & Y (2005)

(Cover: Amazon.de)

Auch wenn der dritte Studio-Longplayer der Briten nicht ganz an die Verkaufszahlen des Zweitlings "A Rush Of Blood To The Head" (2002) heranreichte, dürfte es am kommerziellen Volltreffer-Status dieses Albums kaum einen Zweifel geben - Platz 1 in so ziemlich jedem relevanten Musikmarkt dies- und jenseits des Atlantiks. Allerdings gerade in heutigen Zeiten kein wirklicher Qualitätsgarant, daher lohnt sich schon ein kritischer Blick auf die insgesamt 13 Stücke aus der Feder von Chris Martin & Co.

Positiv ist zunächst einmal anzumerken, dass sich "X & Y" mit verschiedenen Stilen eröffnet. Bekommt man mit dem Opener "Square One" einen respektablen (und stadiontauglichen) Gitarrenheuler in der Tradition von U2 auf's Auge gedrückt, darf bereits schon bei "What If" die Coldplay-typische Melancholie fröhliche Auferstehung feiern. Mag der Eine oder Andere auch Streicher in Rocksongs unerträglich finden - mir gefällt's! Und bei "White Shadows" geht es sofort wieder zurück in den "Gitarrengeklingel meets Knacke-Drums"-Himmel. Fein, fein!

Im Grunde genommen hat man somit schon einmal die Gesamtproblematik des Quartetts umrissen. Für einen nicht unerheblichen Teil der Musikhörerschaft sind Coldplay eine maßlos gehypte Combo, die dem Konsens-Rockpop frönt und boshafterweise damit auch noch grandiosen Erfolg hat. Dann gibt es die Fanboys und Chris Martin-Anschmachterinnen, die nix auf die Band kommen lassen und last but not least einen gewissen Prozentsatz Hin- und Hergerissene, zu denen ich mich auch zähle. Wahrlich nicht jeder Song dieses Albums findet Gnade vor meinem Gehörgang, was teilweise auch an der Überfrachtung einzelner Tracks liegt. Scheinbar musste für den einen oder anderen Song wirklich das volle Arrangement-Arsenal aufgefahren werden - ein wenig Reduktion hätte "Fix You" (das doch eigentlich so feinsinnig beginnt), "X & Y" oder auch "A Message" gut getan.

Als alter Kraftwerk-Fan bin ich normalerweise mit der Verwendung von Samples oder Melodien der Düsseldorfer etwas eigen, aber die kurze Tonsequenz von "Computerliebe", die "Talk" trägt, funktioniert verblüffend gut und macht den Song wirklich zu einer kleinen Perle, der auch exzessiver Radio-Einsatz nicht viel anhaben konnte, was nicht ganz für "Speed Of Sound" und "The Hardest Part" gilt, deren Lack durch den Dudelfunk doch etwas ab ist.

Es gibt sie aber dennoch, die kleinen Songperlen, die Coldplay zu einer besonderen Band machen, man muss sie nur zu finden wissen. Neben eingangs erwähnten "What If" und "White Shadows" bilden die Beatles-beeinflussten "Swallowed In The Sea" und "Twisted Logic" für mich die Highlights, der Rest bildet ein gutes, dennoch nicht die Klasse des Debüts "Parachutes" (2000) erreichendes, Album.

Bewertung: 4 von 5

Dienstag, 29. Dezember 2009

Buch-Rezensionen (177): Klaus Meyer - Petroleum-Jonny (1982)

(Cover: Amazon.de)

Eine schöne Erinnerung war es kürzlich, einmal auf den Dachboden meiner Eltern zu steigen und in Kartons in den Büchern meiner Kindheit und Jugend zu kramen. Zu vielen Bänden fielen mir gleich damalige Gedanken und Empfindungen ein, andere waren nahezu vergessen. Ich habe mir gleich einen ganzen Stapel eingepackt und werde mich demnächst wieder einmal meinem Hobby - längst gelesene Bücher einem erneuten Lesedurchlauf zu unterziehen - widmen.

Dieses DDR-Kinderbuch des Mecklenburger Autors Klaus Meyer, den damaligen Gepflogenheiten folgend mit einer Altersempfehlung (ab 10 Jahren) ausgestattet, ist keine Westerngeschichte, wie der Titel suggerieren könnte. Es erzählt vielmehr die Geschichte der beiden ungleichen Brüder Matze und Jonny Schütt, die von der Ostseeküste in die Nähe von Berlin ziehen, da ihr Vater dort einen Job als Schleusenwärter angenommen hat. Dem um ein Jahr jüngeren Jonny fällt es schwer, sich mit der ungewohnten Umgebung und dem Fakt zu arrangieren, dass sich sein zwar älterer, aber durch seine schwächliche Konstitution in der Schule zurückgestellter und somit mit ihm eine Klasse besuchender Bruder plötzlich den Rang des Älteren für sich beansprucht und zudem anfängt, sich für das andere Geschlecht zu interessieren. Der zwölfjährige Jonny vermisst die gemeinsamen Aktivitäten derart, dass er versucht, mit waghalsigen und unerlaubten Aktionen am nahen Bahndamm die Aufmerksamkeit des Älteren zurückzuerlangen...

"Petroleum-Jonny" ist zunächst einmal ein gelungenes Buch über das schwierige Übergangsalter zwischen Kindheit und Pubertät, desweiteren eine recht gute Darstellung des DDR-Alltags und -Bildungswesens sowie nicht zuletzt eine leidlich spannende Abenteuergeschichte. Der vielen ostdeutschen Kinderbüchern der Vorwendezeit eigene erhobene Zeigefinger ist hier nur am Rande und im vertretbaren Ausmaße vertreten, trotzdem wirkt alles freilich wie aus einer längst verganenen Zeit. Ob das heutige Kids noch zu interessieren vermag? Schwer zu sagen, einen Versuch wäre es jedenfalls wert, schmerzliche Erfahrungen mit dem Erwachsenwerden haben schließlich auch die Kinder der Internetgeneration.

Ein besondere lobenswerte Erwähnung verdienen die schönen Illustrationen von Günter Wongel.

Bewertung: 4 von 5

Montag, 28. Dezember 2009

Nachtgedanken (076)

Ein paar romantische Worte kurz vor dem Jahresende gibt es heute. Fundstück des Tages ist der "Nachtgruß" von Franz Kugler (1808-1858).

Vor meinem Fenster dämmert
Das trübe Mondenlicht;
auf meinem Tischlein hämmert
Die Uhr und rastet nicht.

Die stille Nacht durchschallet
Ein einsam hast'ger Gang,
Der wiederum verhallet
Die leere Straß' entlang.

Auf Traumesschwingen heben
Sich die Gedanken mir,
Und heimlich, o mein Leben,
Träum' ich mich hin zu dir.

Freitag, 25. Dezember 2009

DVD-Rezensionen (177): MATRIX Revolutions (2003)

(Cover: Amazon.de)

Der abschließende dritte Film des MATRIX-Universums weist für mich Parallelen zum letzten "Fluch der Karibik"-Film auf - ein einigermaßen versöhnlicher Abschluss nach einem völlig missratenen zweiten Teil. Setzte der Auftakt neue Maßstäbe im Action-Bereich, wurde in "MATRIX Reloaded" einfach viel zu viel und vor allem zu verquast geschwafelt. Nix gegen ein wenig philosophische Fingerübungen im Kino-Business, aber dann aber auch bitte im passenden Plot plaziert!

Nun also eben das grosse Finale. Zion, als letzte Bastion der freien Menschheit, wird von einer gigantischen Maschinenarmee angegriffen und alle Hoffnungen der Kämpfer ruhen auf dem Auserwählten Neo (Keanu Reeves). Doch dieser muss sich in die Maschinenstadt begeben, um das völlig außer Kontrolle geratenen Ex-Agenten-Programm Smith (Hugo Weaving) aufzuhalten...

Ein mächtiges Technik-Arsenal fuhren Andy und Larry Wachowski für den zeitgleich zu "MATRIX Reloaded" gedrehten Film auf. Bei der Entscheidungsschlacht wird somit jede Menge Krawumm geboten, optisch und akustisch ist das Spektakel daher gar nicht übel. Das sollte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass von der Logik und Faszination des ersten Films mit all seiner Originalität, Innovation und Überraschung herzlich wenig übrig geblieben ist. Dennoch, für ein heftiges Freipusten des gestressten Zuschauerhirns bietet "MATRIX Revolutions" schon einiges an Schauwerten, immer die Akzeptanz des Genres vorausgesetzt.

Bild und Ton der DVD sind ordentlich, die Austattung der Einzel-Ausgabe hingegen, wie nicht anders zu erwarten, dünn. Allerdings ist das MATRIX-Universum eh mit derart vielen Bonusfeatures geflutet worden, dass man ohnehin kaum in den Besitz alles verfügbaren Zusatzmaterials kommen kann, ohne seinen Geldbeutel im erheblichen Maße zu belasten. Das Ende der Trilogie geht schon in Ordnung, trotzdem: gut, dass es endlich vorbei ist...

Bewertung: 3 von 5

Donnerstag, 24. Dezember 2009

Der faule Sack

Copy & Paste aus dem letzten Jahr:

An alle stille und kommentierenden Mitleser da draußen: Frohe Weihnachten und schöne Feiertage im Kreis Eurer Lieben!

Montag, 21. Dezember 2009

CD-Rezensionen (176): Captain Hollywood Project - Flying High (MCD) (1994)

(Cover: Amazon.de)

Aus dem großen Eurodance-Kochbuch, Sammelausgabe 1992-1995. Man nehme:

* einen Rapper, gut abgehangen
* eine Sangesdame, Boden- oder Freilandhaltung
* etwas weichgespülten Bummbumm-Beat, nicht mehr als 160 Schläge pro Minute
* zwei Eier

Das Ganze unter ständigem Rühren in den Ausguss kippen...

Spaß beiseite, aber auch diese Single, der europaweit übersichtlicher Erfolg beschienen war, bediente sich der genretypischen Zusammenstellung. Von daher soll sich ein etwas genauerer Blick auf zwei der auf der MCD enthaltenen insgesamt vier Remixen von "Flying High" des Amerikaners Tony Dawson-Harrison aka Captain Hollywood richten, da sich Radio Edit und Extended Mix auf eingefahrenen Spuren bewegen und nur in ihrer Lauflänge variieren. Somit sind die auf Position drei und vier befindlichen Belly bzw. Spaceship Mix die eher interessanteren Ausgaben des Songs. Ersterer punktet mit deutlich technoideren und staccatohaften Sounds, zweiterer verbindet ein ebenfalls höheres Tempo mit einigen interessanten Klangspielereien. Das ist freilich immer noch keine hohe Musikkunst, rettet aber diesen Tonträger mit 22 Minuten Inhalt ins Bewertungs-Mittelfeld.

Bewertung: 3 von 5

Geht doch...

Ich als Technikidiot™ bin ja heute echt stolz wie Bolle, mein seit einiger Zeit vom PC nicht mehr erkanntes DVD-Laufwerk wieder zum Funktionieren gebracht zu haben. Dafür musste ich nur etwas in die Registry abtauchen und die Werte im Bereich "Upper & Lower Filter" löschen. Funktioniert wieder alles, einfache Ursache, große Wirkung...

Freitag, 18. Dezember 2009

Buch-Rezensionen (176): Günter Grass - Katz und Maus (1961)

(Cover: Amazon.de)

Der zweite Teil der sogenannten "Danziger Trilogie" von Literaturnobelpreisträger Günter Grass fällt um so mehr im Qualitätsurteil ab, je genauer man ihn mit dem ersten Buch dieser aus autobiographischen Details des Autors gestalteten Reihe, der 1959 erschienen "Blechtrommel", vergleicht. Zwar ergeht sich Grass auch hier einmal mehr in zum Teil atemberaubenden sprachlichen Volten, die jedem Freund des deutschen Idioms vor lauter Staunen schier die Augen aus den Höhlen treten lassen, aber in puncto Handlung klaffen doch Welten zwischen der aktionsprallen Saga um den kleinwüchsigen Oskar Matzerath (der hier einen Kurzauftritt hat) und der in "Katz und Maus" geschilderten Geschichte einer Gruppe Jugendlicher im Danzig zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs.

Der Erzähler Pilenz lässt sich seitenweise über seinen mit einem auffälligen Adamsapfel ausgestatteten ehemaligen Mitschüler Mahlke aus, was den Dreh- und Angelpunkt dieser Novelle ausmacht. Nebenbei werden erste erotische Erfahrungen und die Kriegswirren mit eingeflochten, dies aber auf eine nicht wirklich packende Art und Weise. Eher empfindet man lähmenden Stillstand, bei dem man für jede noch so kleine Abwechslung äußerst dankbar ist.

Für die partielle Brillianz des Sprachstils ein paar Gnadenpünktchen, für den Liebhaber Grass'scher Werke aber eher die Empfehlung, zu etwas anderem aus dem Œuvre des Meisters zu greifen.

Bewertung: 3 von 5

Donnerstag, 17. Dezember 2009

Nachtgedanken (075)

Und wieder ab in den hohen Norden nach Norwegen. Heutiger Gast in den "Nachtgedanken" ist Bjørnstjerne Bjørnson (1832-1910). Titel des Gedichts: "Allein und in Reue (An einen abgeschiedenen Freund)"

Ich hab' einen Freund, im Grauen der Nacht 
Hör' ich oft seinen Gruß: Gott mit dir!
Wenn die Lichter sterben, mein Sinn nur wacht,
Dann tritt er am liebsten zu mir.

Er hat kein Wort, das mich kränken will,
Denn er selbst kennt Sünde und Leid.
Er heilt mit Blicken und wartet still,
Bis ich ausgekämpft meinen Streit.

Und schafft mir Kummer, was ich getan,
So bekennt er sich selbst dazu.
Er faßt meinen Glauben so handweich an,
Und bringt den Schmerz zur Ruh.

Stieg jubelnd die Hoffnung – er folgte ihr,
Und verzagte nicht, wenn sie sank.
Jetzt wieder – mild steht er neben mir – :
Mein Aufschwung werde sein Dank!

Mittwoch, 16. Dezember 2009

Nachtgedanken (074)

Wie schon beim letzten Mal versprochen heute ein erneuter Blick über die Grenzen. Heutiges Fundstück ist "Wehmütiges Zwiegespräch" des französischen Symbolisten Paul Verlaine (1844-1896).

Im alten Park, der einsam und verschneit,
Sah ich zwei Schatten gehn in Dunkelheit.

Tot ist ihr Aug', von welken Lippen beben
Die leisen Worte, die in Nacht entschweben:

Der alte Park ist einsam und verschneit,
Zwei Schatten wecken die Vergangenheit.

– Gedenkst du noch der Wonne einst'ger Liebe?
– Wie willst du, dass mir die Erinn'rung bliebe?

– Schlägt immer noch dein Herz für mich allein?
Kommt meine Seel' im Traume zu dir? – Nein.

– O sel'ges Glück in jenen hellen Tagen,
Da Mund auf Mund geruht! – Wer kann es sagen?

Blau war der Himmel, gross der Hoffnung Macht!
– Die Hoffnung floh besiegt in schwarze Nacht.

So schritten sie durchs Gras den Pfad, den schlimmen,
Und nur die Nacht erlauschte ihre Stimmen.

Dienstag, 15. Dezember 2009

DVD-Rezensionen (176): Cobra Verde (1987)

(Cover: Amazon.de)

Dieser Film "sei ihm immer fremd geblieben" äußert Werner Herzog in seiner grandiosen Dokumentation "Mein liebster Feind" von 1999. Den Grund dafür sah er in der innerlichen Abwesenheit seines Hauptdarstellers Klaus Kinski, der zu diesem Zeitpunkt schon voll und ganz seinem Wahnsinnsprojekt "Paganini" verfallen war. Dennoch rafften sich die beiden Antipoden noch einmal zu einer letzten gemeinsamen Kraftanstrengung auf, um in Brasilien, Kolumbien und Ghana unter wie immer hochkomplizierten Bedingungen ihren fünften und letzten gemeinsamen Film zu drehen.

Der frei nach Motiven von Bruce Chatwins Roman "Der Vizekönig von Ouidah" (1980) entstandene Plot erzählt die Geschichte des brasilianischen Desperados Francisco Manoel da Silva alias "Cobra Verde" (Kinski), der nach der Schwängerung der drei Töchter seines Plantagenherren von diesem nach Westafrika geschickt wird, um dort neue Sklaven für die Zuckerrohrfelder zu erwerben oder günstigerweise gleich im Kampf mit den ansässigen Einwohnern den Tod zu finden. Mit List und Gewalt gelingt es Cobra Verde, einen blühenden Sklavenhandel aufzuziehen und sich nebenbei zum Vizekönigs des Landstrichs aufzuschwingen, indem er mit Hilfe eines von ihm rekrutierten und ausgebildeten Amazonenheers den wahnsinnigen Herrscher des Gebiets stürzt.

Natürlich ist auch dieser Film des kongenialen Duos Herzog/Kinski wieder ein visuelles Ereignis abseits des Kinomainstreams. Sowohl Szenen im kleinen (wie diejenige in der brasilianische Spelunke mit dem geistig behinderten minderjährigen Betreiber) als auch im großen Rahmen, wie die optisch beeindruckende Flaggenstaffette am afrikanischen Strand, wirken durch unerhörte Wucht auf den Zuschauer ein. Dennoch: ein gewisses Gefühl der Unvollkommenheit bleibt, gerade wenn man den Film in den direkten Vergleich zu den anderen Werken dieser Hassliebe-Paarung stellt. Zum einen wird keineswegs deutlich, dass sich die Handlung eigentlich über viele Jahre hinstreckt, dazu kommen handwerkliche Schnitzer, wie ein ins Bild geratender Schweinwerfer an der Hauswand des Sklavenhändlerforts.

Kinski agiert stellenweise wie wahnsinnig und wird einmal mehr seinem Ruf als Kino-Berserker gerecht. Seine finale Szene ist in ihrer Endgültigkeit symptomatisch für die damit endende Zusammenarbeit mit Herzog und seinen nahenden (er starb nur vier Jahre später) Tod. Trotzdem ist es einmal mehr ein Ereignis, diesen Mann spielen zu sehen.

Die Einzel-DVD ist gut ausgestattet, neben Biografien und Bildern vom Set gibt es einen leider nur separat als Audiospur aufrufbaren einstündigen Dialog Werner Herzogs mit dem 2007 verstorbenen Schauspieler und Regisseur Laurens Straub als Audiokommentar sowie die (leider nicht in voller Länge enthaltene) Dokumentation "Herzog in Afrika" von Steff Gruber. In dieser merkt man dem Regisseur deutlich seine Anspannung vor Ort an, da es neben technischen und logistischen Problemen auch einmal mehr Sorgen und Auseinandersetzungen mit seinem Hauptdarsteller gab. Zum Schmunzeln läd zudem die in der Doku mehrfach sichtbare Weigerung Kinskis, sich von hinten filmen lassen ein, scheint diese wohl der Eitelkeit des Schauspielers geschuldet zu sein, der durch diesen Kniff und durch ebenfalls gezeigtes ausgiebiges Zurechtzupfen seiner langen blonden Strähnen zunehmende Kahlheit verbergen wollte.

Das Bild ist farbenkräftig und für das andere Prioritäten setzende Genre gut, der deutsche Ton liegt sogar in (sicherlich nachträglich künstlich erzeugtem) 5.1 vor, auch wenn sich in den hinteren Boxen nicht wirklich viel tut. Somit ein gut austariertes Produkt mit einem jedoch nicht in allen Belangen überzeugendem Film. Extralob für die wie immer sehr atmosphärische Musik von Popol Vuh.

Bewertung: 4 von 5

Montag, 14. Dezember 2009

CD-Rezensionen (175): 16 Bit - INAXYCVGTGB (1987)

(Cover: Amazon.de)

Bevor gegen Ende der 80er Jahre auch in den kommerziellen Charts die grosse Acid House- und Techno-Welle losbrach, war das, was die später noch einmal mit SNAP! zu Weltruhm gelangten Michael Münzing und Luca Anzilotti unter dem Label 16 Bit veröffentlichten ganz vorne dabei im europäischen Dancefloor-Konzert. Stilistisch einer ganzen Reihe ähnlicher deutscher Projekte wie OFF oder Silicon Dream verwandschaftlich verbunden (die sich hinter ersterer Formation verbergende DJ-Legende Sven Väth fungiert auch beim Single-Hit "Where Are You?" als Sänger), zeigt sich hier, dass das Epizentrum des damaligen Sounds in Frankfurt und München zu suchen war. Namen wie die der Clubs "Dorian Gray" oder "Omen" haben heute noch einen geradezu mythischen Ruf.

Auch wenn sich naturgemäß das Hauptaugenmerk bei diesem heute zu absurden Höchstpreisen gehandelten Tonträger auf die Hits "Where Are You?" und "Changing Minds" legt - diese Platte hat wahrlich noch mehr zu bieten! "(Ina) Gadda-Da-Vida" bedient sich kurzerhand eines der berühmtesten Songnamen der Rockgeschichte, um dessen Entstehungsgeschichte sich bis in die Gegenwart wüste Geschichten ranken. Mit dramatischen Rock-Vocals von Eddie Hind versehen, stampft dieser Kracher ordentlich aufs Parkett, besonders eindrucksvoll die an düstere Chöre erinnernden Backgroundsounds.

Auch die folgenden Tracks gehen allesamt schwer elektronisch zu Werke, geprägt von dem, was die Sound- und Sample-Datenbänke damals hergaben. Das erinnert mal an Kraftwerk ("Be Quiet"), mal an Depeche Mode ("Too Fast To Live") oder an anderer Stelle gar an Ultravox ("Desire"). Richtig schnuckelig schräg hingegen "132 Beats 'xycvgtgb'", das einen prägnant-straighten Beat mit allerlei putzigen Samples - wie beispielsweise Verkehrsdurchsagen - verbindet. Gefällt mir sehr, wie auch das experimentellste Stück auf dieser CD, "Death Of A Chip ('Der Mix')". Klingt wie frühe OMD und das ist genau meine Baustelle...

Die CD-Version beinhaltet noch diverse Mixe als Bonus, hierbei ist insbesondere der Laser Edit von "Be Quiet" lobend zu erwähnen. Macht summasummarum satte 74 Minuten heute als absolute Rarität gehandelte Dancefloor-Geschichte. Wer zu einem vernünftigen Preis drankommt - kaufen!

Bewertung: 4 von 5

Sonntag, 13. Dezember 2009

Buch-Rezensionen (175): Die Hochzeit in Byzanz (1966)

(Cover: Amazon.de)

Dig und Dag müssen nach der geglückten Flucht der orientalischen Prinzessin Suleika aus ihrer Rolle als Prinzen von Makkaronien schlüpfen und finden eher durch Zufall in der Tarnung als Astrologen Hokos und Pokos eine neue Möglichkeit, in Byzanz unterzutauchen. Als diese werden sie in der Funktion von Hofastrologen am kaiserlichen Hof aufgenommen, zu dumm nur, dass sie leichtsinnigerweise dem Herrscher eine prachtvolle und geglückte Hochzeit mit Irene von Thessalonien voraussagen, denn nun droht ihnen bei Platzen dieser allzu wagemutigen Prophezeiung die Todesstrafe...

Wie immer findet man in den im Sammelband enthaltenen sechs Heften (Originalveröffentlichung: Juli-Dezember 1966) jede Menge recherchierter historischer Geschehnisse und Details, auch wenn in den Charaktereigenschaften einiger augewählter Personen, deren tatsächliche Existenz wissenschaftlich als gesichert gilt, zum Teil künstlerisch sehr frei vorgegangen wurde. Dies stört das Lesevergnügen aber auf keinste Weise, zudem gibt es noch einen geschichtlichen Exkurs zur bis heute legendenumwobenen ismailitischen Sekte der Assassinen, ein Begriff, der in anderer Bedeutung heute wieder verstärkt durch die Medien geistert.

Insgesamt wirken diese Episoden recht düster, ständig ist vom drohenden Tod die Rede, dazu kommt das deutlich sichtbar degenerierte Byzanz in seiner späten Phase. Dennoch gibt es mit jeder Menge Action (inklusive einer Seeschlacht) und einer neuen Spur des verschollenen Digedag einige Lichtblicke zu verzeichnen. Insgesamt etwas ungewohnt, aber trotzdem wie gehabt spannend und lehrreich.

Kuriosität am Rand: den als Knastmahlzeit verabreichten Kukuruz(=Mais)-Brei konnte es im Konstantinopel des Jahres 1285 eigentlich gar nicht geben, kam doch diese Pflanze erst über 200 Jahre später im Nachzug der Entdeckerreisen Kolumbus' von Amerika nach Europa...

Bewertung: 5 von 5

Freitag, 11. Dezember 2009

DVD-Rezensionen (175): WM-Klassikersammlung, Ausgabe 29 - Viertelfinale 1986 Argentinien - England (2:1) (2006)

(Cover: Amazon.de)

Im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland veröffentlichte die "BILD am Sonntag" zusammen mit dem Sammelserien-Spezialisten DeAgostini eine ursprünglich auf 30 Ausgaben angelegte, dann aber mit den hinzugefügten sieben Spielen der DFB-Elf bei der WM auf 37 DVDs erweiterte Reihe, die große Partien der deutschen Elf bei Weltmeisterschaften sowie einige Klassiker ohne deutsche Beteiligung in nicht-chronologischer Reihenfolge enthielt. Allen Scheiben war ein Begleitheft mit weiterführenden Informationen über Vorgeschichte, Hintergründe sowie statistischen Elementen wie Aufstellungen etc. beigefügt.

Ich erinnere mich, dass ich zu damaliger Zeit noch totaler England-Fan war. Und somit nach Ende des Spiels auch dementsprechend geknickt. Nichtsdestotrotz macht es natürlich aufgrund exakt zweier Szenen purer Dreistigkeit und Genialität mächtig Spaß, dieses Match wieder einmal zu sehen. Wenn man innerhalb von vier Minuten das neben dem Wembley-Treffer umstrittenste und gleich darauf das wohl schönste Tor der WM-Historie präsentiert bekommt, hat das Spiel sicherlich den Ruf eines Klassikers verdient.

Im Grunde genommen lässt sich diese Partie auf den Namen Diego Armando Maradona eindampfen. Mal von seinem unglaublichen Solo um fünf englische Spieler herum und der berühmt-berüchtigten "La mano de Dios - Die Hand Gottes" abgesehen, kann man deutlich erkennen, wie genial das argentinische Spiel über die Nummer 10 lief. Man muß Lothar Matthäus schon ein Kompliment machen, wie er im Finale den Spieler des '86er-Turniers doch recht effektiv bewachte. Argentinien nahm sich nach dem 2:0 zwar etwas zurück, doch nach dem Anschlußtreffer durch Lineker (den ich ob seiner Fairness immer bewundert habe) neun Minuten vor Schluß ging es noch einmal richtig zur Sache. 2:1 und gleich im Gegenzug ein Pfostentreffer und wieder kurz darauf fast der Ausgleich - ja das hatte schon was, auch wenn die Partie natürlich bei weitem nicht an das Viertelfinale Frankreich - Brasilien (Ausgabe 27 der Edition) heranreicht.

Eighties pur beim Vorkommentar von Harry Valérien. Gelbes Hemd, gelbe Hose, gelbe Socken und weiße Schuhe - weia!

Auch sehr schön das Material vor dem Spiel, das jede Menge im Laufe der WM gefallene Tore beider Mannschaften zeigt. Das Begleitheft beleuchtet zudem noch die politisch aufgeheizte Atmosphäre rund um dieses Viertelfinale, befanden sich doch beide Länder nur vier Jahre zuvor noch im Kriegszustand, als sich das Vereinigte Königreich und das damals noch unter Militärherrschaft stehende Argentinien um die Falklandinseln im Südatlantik stritten, was beiderseits etwa 900 Tote forderte.

Bewertung: 4 von 5

Donnerstag, 10. Dezember 2009

CD-Rezensionen (174): Haddaway - What Is Love (Remix) (MCD) (1993)

(Cover: Amazon.de)

Mit der breiten Masse der Eurodance-Schwemme zwischen Beginn und Mitte der 90er Jahre konnte ich herzlich wenig anfangen. Etwas anders sah das beim damals in Köln ansässigen Mann aus Trinidad und Tobago aus. Da wurde nicht strunzlangweilig der Kombination männlicher Rapper samt weiblichen Gesangsanhängsel gefrönt, sondern hier lugte auch ab und an der Soul um die Ecke, ganz davon abgesehen, dass Herr von und zu Haddaway tatsächlich einiges auf dem Gesangskasten hatte.

Im Nachklapp der Singleauskopplung seines Debüts und größten Hits "What Is Love" (1992) erschien im Folgejahr diese 3-Track-CD, die neben dem originalen 7"-Mix des Songs zwei qualitativ unterschiedliche Remixe enthält. Der "Eat This Mix" (6:57 min) bietet wenig Neues oder Aufregendes - einfach das Ausgangsmaterial aufgebläht und mit ein paar harmlosen Klimpereien ausgeschmückt. Verzichtbar.

Ganz anders sieht das beim "Tour de Trance Mix" (06:02 min) aus. Genretypisch mit flächigen Synthesizer-Klängen versehen, zitiert dieses Stück nur die Titelzeile des Originals und bastelt darum herum ein völlig neues Stück Musik. Verträumt und tanzbar zugleich - ja, so lass ich mir das gefallen!

Und da mir das Original aus vielerlei Gründen auch immer noch sehr zusagt, wird an dieser Stelle die zweithöchste Wertung gezückt.

Bewertung: 4 von 5

Mittwoch, 9. Dezember 2009

Nachtgedanken (073)

Dass es in letzter Zeit mit den "Nachtgedanken" etwas haperte, war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, immer schwieriger an bisher noch nicht zitierte deutsche Dichter zu gelangen. Lassen wir also mal das nationale Dogma weg und schauen etwas über die Grenzen hinaus. Beim Norweger Henrik Ibsen (1828-1906) wurde ich fündig, Titel: "Chor der Unsichtbaren".

Nimmer wirst du, Mensch, ihm gleichen;
Denn aus Staub bist du gemacht; 
Magst ausharren oder weichen,
Immer stürzt dein Pfad in Nacht!

Nimmer wirst du, Wurm, ihm gleichen;
Denn dem Staub bist du entstammt;
Magst nachfolgen oder weichen,
Immer bleibt dein Tun verdammt!

Träumer, nie wirst du ihm gleichen,
Was du ihm auch dargebracht;
Wähne nie, je zuzureichen; –
Denn als Mensch bist du gemacht!

Dienstag, 8. Dezember 2009

Buch-Rezensionen (174): Reimar Gilsenbach - Der ewige Sindbad (1975)

(Cover: gilsenbach-gilsenbach.de/Amazon.de)

"Merkwürdige Historie phantastischer Reisen zu Lande, zur See und ins All" lautet der Untertitel dieses 1975 in der DDR erschienenen Jugendbuches, landestypisch mit einer Altersempfehlung (ab 12 Jahren) versehen. In sieben großen Kapiteln werden anhand zahlreicher Beispiele, Auszüge und Nacherzählungen über 5000 Jahre literarischer, märchenhafter oder ideologischer Darstellungen von Reisen in sagenhafte Glücksländer, zu unbekannten Kontinenten oder in den Weltraum altersgerecht beleuchtet. Es finden sich darunter berühmte Klassiker wie neben dem Gilgameschepos und der Argonautensage beispielsweise die Abenteuer des Odysseus (Homer), Gullivers (Jonathan Swift) oder Robinson Crusoes (Daniel Dafoe), ergänzt um weithin unbekannte phantastische Legenden über prominente Gestalten der Welt- und Wissenschaftsgeschichte wie Alexander den Großen, Johannes Kepler, Cyrano de Bergerac oder Konstantin Ziolkowski.

Der breiteste Raum wird aber dankenswerterweise längst aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwundenen Werken eingeräumt, beispielhaft seien hier die Geschichte der Insel Felsenburg von Johann Gottfried Schnabel, die von unbekannten Autoren verfassten Schilderungen der Reisen Brendans, Herzog Ernsts, Jehan de Mandevilles und vieler anderer genannt. Lehrreich, unterhaltsam und mit vielen interessanten Anmerkungen zu technischen Entwicklungen, Zeitumständen bei der Entstehung der ausgewählten Werke und möglichen realen Hintergründen versehen.

Dennoch hinterlässt dieses Buch, speziell im Abschnitt "Länder der Hoffnung", der sich mit Traum- und Glücksländern aus der Feder Iambulos', Thomas Mores, Erasmus von Rotterdams, Jan van Leidens, Tommaso Campanellas, Francis Bacons, Étienne Cabets und anderer beschäftigt, einen schalen Beigeschmack. Denn zu offensichtlich ist die ideologische Stoßrichtung - die das Kapitel beschließenden Theorien von Karl Marx und Friedrich Engels sollen als die logische Fortführung und als finale Erfüllung all dieser vorhergegangenen Schriften dargestellt werden, völlig negierend, dass diese teilweise aus völlig anderen Motiven (z.B. religiösen Überzeugungen) entstanden. Humanisten, radikale Protestanten und unpolitische Schwärmer gleichsam in kommunistische Geiselhaft zu nehmen, befremdet doch sehr, umso verwunderlicher unter dem beachtenswerten Umstand, dass der 2001 verstorbene Autor Reimar Gilsenbach als einer der ersten und prägendsten Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten der DDR gilt. Wie sich diese politische Haltung mit der im Buch verwendeten pauschalen Religionsverdammung und Verherrlichung des kommunistischen Gesellschaftsmodells vereinbaren lässt, ist für mich ein bisher ungelöstes Rätsel. Sollte doch die oftmals geäußerte Theorie stimmen, dass viele der DDR-Oppositionellen linker waren, als die sich selbst als ideal links verstehende Staatsführung, siehe Beispiel Wolf Biermann?

Die genannten Faktoren stören erheblich, reizen aber durchaus zu Denkanstößen und lebhaften Diskussionen, was das großformatige und schwergewichtige Buch auch für Erwachsene lesens- und erfahrenswert macht. Für Kinder bleibt immerhin ein spannendes Kompendium von phantastischer Literatur von Münchhausen bis Jules Verne, von H.G. Wells bis Edgar Allan Poe. Sehr lobenswert auch die grandiosen Illustrationen von Rainer Sacher, die neben zahlreichen historischen Originalgrafiken und Fotos zum Gelingen der Wissensvermittlung beiträgt.

Sonntag, 6. Dezember 2009

Otto Graf Lambsdorff †

(Foto: Wikipedia)

Eine der prägendsten Gestalten der Bonner Republik, der FDP-Ehrenvorsitzende und ehemalige Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff ist gestern im Alter von 82 Jahren verstorben. In Erinnerung wird der "Marktgraf" neben seinem lebenslangen Engagement für die Marktwirtschaft vor allem für drei Dinge: seiner Rolle beim Bruch der sozialliberalen Koalition 1982 und der Flick-Spendenaffäre sowie seiner Verhandlungsführung um die Entschädigungszahlungen an ehemalige NS-Zwangsarbeiter, die schlußendlich in der Gründung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" gipfelte. Ohne Zweifel wird eine so einflussreiche Person seiner Patei und diesem Land fehlen. R.I.P.

DVD-Rezensionen (174): Apocalypse Now Redux (1979/2001)

(Cover: Amazon.de)

Praktisch auf Schritt und Tritt begegnet man in Francis Fords Coppolas in das Szenario des Vietnamkriegs eingebetteter Adaption von Joseph Conrads eigentlich in Afrika spielenden Erzählung "Herz der Finsternis" (1899) auf zu modernen Klassikern gewordenen Szenen oder Filmzitaten. Sei es der Hubschrauberangriff auf ein vietnamesisches Dorf zu den Klängen von Richard Wagners "Walkürenritt", der berühmte "Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen..."- Monolog von Lieutenant Colonel Bill Kilgore (Robert Duvall) oder bereits schon die Eingangssequenz, die von einem der Monolithen aus dem Schaffen der Doors, "The End", begleitet wird, und, und, und - hier schreit förmlich alles: Kult! Genial! Groß!

Dazu passt perfekt, es bei dem 1979 veröffentlichten Film mit einem Produkt reinsten menschlichen Wahnsinns zu tun zu haben. Zerstörung des Sets durch Sturm, massive Budgetüberschreitungen, Herzinfarkt bei Hauptdarsteller Martin Sheen sowie die legendären Allüren Marlon Brandos inklusive. Immer wieder stößt man im Film auf deutlich sichtbare Zeichen dieser Begleitumstände, was der Authentizität und Wirkungsmacht auf den Zuschauer ungeahnte Vorschübe leistet.

War das Original mit 153 Minuten Lauflänge allein schon nicht eben ein Kurzfilm, sattelte man mit der 2001 veröffentlichten - ironischerweise mit dem Zusatz "Redux" versehenen - Director's Cut-Version nochmal satte 50 Minuten obendrauf. Diese Fassung enthält nicht einfach nur neue Szenen sondern erhielt auch noch einen Umschnitt und in der deutschen Ausgabe eine Neusynchronisation, bei der nur Sprecherstar Christian Brückner als Martin Sheens Stimme seinen Part behielt. Für mein Empfinden bringt nicht alles aus diesem Zusatzmaterial den Film wirklich voran, die Passagen auf der Farm der französischen Kolonialisten scheinen ihn geradezu zu lähmen - ein Mittelweg zwischen Original und der "Redux"-Veröffentlichung wäre wohl die bessere Lösung gewesen.

Dies ändert freilich nichts am Status des Films, der zum einen grandios besetztes Starkino (neben Sheen, Brando und Duvall wirken unter anderem noch Hollywood-Größen wie Dennis Hopper, Harrison Ford und der damals erst 17jährige Laurence Fishburne in einer seiner ersten Rollen mit) liefert, zum anderen aber auch für einen Antikriegsfilm erstaunliche Arthouse-Einflüsse aufweist. Denn andere Klassiker zur Vietnamkriegsproblematik wie "Die durch die Hölle gehen" (1978), "Platoon" (1986) oder "Full Metal Jacket" (1987, dessen wohl eindrucksvollste mitwirkende Gestalt Ronald Lee Ermey hier eine kleine Nebenrolle als Hubschrauberpilot spielt) heben dann stellenweise doch eher das Action-Element bzw. das Sozialdrama hervor.

Bild und Ton der DVD erreichen gute Werte, an Bonusmaterial ist lediglich ein von Regisseur Coppola kommentiertes alternatives Filmende sowie einige Trailer enthalten. Ungeachtet der leichten Schwächen, der mangelnden DVD-Ausstattung und des Nichterreichens von technischen Spitzenwerten bei Bild und Sound - hier gibt es nur eine Wertung und die heißt volle Punktzahl!

Bewertung: 5 von 5

Freitag, 4. Dezember 2009

Alea iacta est! *

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Nun kann also geplant werden. Heute wurden in Kapstadt die Vorrundengruppen der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 ausgelost und das vielzitierte deutsche Losglück scheint auch heute wieder seinem Ruf gerecht geworden zu sein - mit Australien, Serbien und Ghana hat man zwar respektable, aber doch wohl hoffentlich lösbare Gegner zugesprochen bekommen. Allerdings könnte - je nach Gruppenerster/-zweiter-Konstellation bereits im Achtelfinale Erzrivale England warten. Aber ab den KO-Runden gibt es ja Elfmeterschießen...

Im Allgemeinen sind die acht Gruppen dank der (umstrittenen) Setzliste recht ausgeglichen bestückt, einzig und allein Rekordweltmeister Brasilien dürfte mit Portugal, der Elfenbeinküste und den völlig unberechenbaren Nordkoreanern die härteste Aufgabe erwischt haben.

Südafrika, wir kommen!

Donnerstag, 3. Dezember 2009

Ein Genuss...

Vor einem reichlichen Jahr sinnierte ich an dieser Stelle in zwei Blogs über diverse Vertreter klassischer deutscher Lyrik. Heute hatte ich diesbezüglich wieder ein traumhaftes Erlebnis, durfte ich doch die von Matthias Ponnier gesprochene Hörfassung der "Hymnen an die Nacht" von Novalis genießen. Ganz groß!

Mittwoch, 2. Dezember 2009

CD-Rezensionen (173): Gottlieb Wendehals - Polonäse Blankenese-Herbert (MCD) (1995)

(Cover: Amazon.de)

Eine der Gelddruckmaschinen der Musikindustrie war in den 90ern bis zum Beginn des CD-Brenner- und Tauschbörsen-Zeitalters Ende des Jahrzehnts der Remix bekannter Songs im Technogewand. Selbst aus dem noch so absurdesten Stück Kindergeburtstag konnte so noch ein Stück Gewinn gepresst werden - je alberner, desto besser!

1995 entschloss sich also das damals hauptsächlich mit Technosamplern agierende hessische Label ZYX, zwei der Schlager-Stimmungshits der Früh-Achtziger auf den Markt zu werfen - "Polonäse Blankenese" und "Herbert" von Gottlieb Wendehals, ursprünglich 1982 bzw. 1980 veröffentlicht. Ob der Blödelbarde samt Karojackett, Pomadenscheitel und Gummihuhn dafür noch einmal ein Studio von innen gesehen hat, ist sehr fraglich - einfach Gesangspur mit neuem Beat unterlegen, das muss reichen!

In jeweils drei Versionen liegen beide Songs auf dieser Maxi-CD vor, die Originale sind jedoch nicht enthalten. Die beiden "Pop Versions" kann man hierbei getrost vergessen - langweilig, einfallslos, uninspiriert. Etwas besser sieht das bei den Remixen aus, da rockt die eine oder andere Harmonie oder auch manch einer der einzelnen Sounds doch ein wenig. Das ändert freilich nichts an der Tatsache, es hier mit einem reinen Trash-Produkt von knapp 30 Minuten Lauflänge zu tun zu haben - eher als rare Kuriosität in der CD-Sammlung denn als musikalischer Erkenntnisgewinn zu gebrauchen. Für die absolute Tiefstwertung ist es nicht Ausschussware genug, mehr als der vorletzte Rang ist aber definitiv nicht drin.

Bewertung: 2 von 5

Dienstag, 1. Dezember 2009

Buch-Rezensionen (173): Eoin Colfer - Artemis Fowl-Der Geheimcode (Hörbuch) (2003)

(Cover: Amazon.de)

Nur aller Jubeljahre kommt es einmal vor, dass mich eine Buchreihe zu Begeisterungsstürmen hinreißt. Von daher eine tiefe Verbeugung vor dem Iren Eoin Colfer, der dieses Kunststück mit seiner "Artemis Fowl"-Saga scheinbar problemlos fertigbrachte. Ob man nun die Abenteuer des irischen Nachwuchs-Gangsters in die Abteilung Fantasy, Jugendliteratur oder Science Fiction einsortieren will, ist mir dabei herzlichst wurscht. Spannend, wendungsreich, unterhaltend und dabei nicht unintelligent - so muss Mainstream-Literatur aussehen!

Der Plot des dritten Bandes beginnt gleich mit einer Überraschung - Artemis Fowl will seine kriminelle Karriere an den Nagel hängen! Noch ein letzter Coup soll den krönenden Abschluss bilden, doch mit dem ebenfalls alles andere als sauber agierenden amerikanischen Computer-Industriellen Jon Spiro hat er sich scheinbar den falschen Gegner ausgesucht. Entwendet der doch glatt den von Artemis mit Hilfe von Elfentechnik konstruierten Supercomputer C-Cube und bringt die Artemis nahestehenden Personen in tödliche Gefahr. Da hilft nur eins: Ein Einbruch in Spiros Hitech-gesicherter Firmenzentrale...

Von dem sich immer schneller aufbauenden Spannungsbogen einmal abgesehen - der mit Hilfe altbekannter unterirdischer Charaktere erfolgende Einstieg in das mit allerlei technischen Spitzfindigkeiten gesicherte Gebäude des Gegners ist schon eine herrlich spannende Sache. Da lassen artverwandte Filme wie "Ocean's Eleven" oder "Mission: Impossible" schwer grüßen, dennoch handelt es sch hier um alles andere als ein Plagiat - oder hat man George Clooney, Brad Pitt oder Tom Cruise bei ihren Coups jemals in Begleitung von unter Blähungen leidenden Zwergen oder unsichtbaren Elfen gesehen?

Das Hörbuch zieht einmal mehr seinen Reiz aus der Sprachgewalt Rufus Becks, der besonders meinem erklärten Liebling Mulch Diggums wieder seinen einzigartigen Zungenschlag (der den "Herrn der Poklappe" als Angehörigen einer bayrischen Zwergenpopulation ausweisen müsste) verleiht. Wie immer ein Ohrenschmaus! Nö, da gibt es gar nix dran zu rütteln - volle Punktzahl für ein Buch, das freilich aufgrund seiner nicht gewaltfreien Handlung inklusive eines Mordes trotz des märchenhaften Szenarios nicht für kleinere Kinder geeignet ist.

Bewertung: 5 von 5

Auf geht's!

So, der Ernst des Lebens geht wieder einmal von vorne los - ab heute bin ich offiziell Student. Noch ist genug Interesse, Elan und Willen da - mal sehen, wann es die ersten Ermüdungserscheinungen gibt...