(Cover: Amazon.de)
Es kommt wahnsinnig selten vor, dass ich mich über ein Buch ärgere, noch viel weniger, dass mich ein gedrucktes Werk richtig wütend macht. "Das große Lexikon der DDR-Sportler" von
Volker Kluge ist ein derartig rarer Fall. Per Zufall auf dem Bücherbord meines diesjährigen Feriendomizils entdeckt, griff ich neugierig danach, begeisterte mich doch der Sport und seine Heroen schon seit Kindertagen. Die ersten großen internationale Wettkämpfe, an die ich mich als TV-Zuschauer bewußt erinnern kann, sind die
Nordischen Skiweltmeisterschaften 1978 im finnischen
Lahti - damals war ich gerade 6 Jahre alt.
Ob nun Friedensfahrt, Vierschanzentournee oder die internationalen Meisterschaften in diversen Sportarten, als DDR-Kind kam man gar nicht daran vorbei, sich dafür zu interessieren, wenn nicht gar zu begeistern. Einige der Aktiven wurden zu Idolen, wie man heute weiß, zum Teil mit unlauteren Methoden. Dieses Buch widmet sich in 1000 Kurzporträts ausgewählten Sportlern, in dieser erweiterten Auflage auch mit bei Drucklegung aktuellen Informationen zu deren späteren Lebensweg nach den politischen Umwälzungen der frühen 90er Jahre. Klingt erst einmal vielversprechend - wo liegt also das Problem?
Normalerweise gehören in ein Buch, das laut Titel für sich einen enzyklopädischen Anspruch reklamiert, Fakten, Daten, Informationen und sonst gar nichts. Hier aber hat man es neben recht albernen Floskeln wie z.B. "im Jahre 19XX platzte aber bei ihm der Knoten" mit zum Teil bissigen oder gar gehässigen Kommentaren zu tun, wenn dem Autor danach zumute ist und dies passiert oft und gern. Besonders auffallend: Häufig handelt es sich um Sportler, die entweder im Zuge der Dopingaufarbeitung in den 90er Jahren als Zeuge oder gar Nebenkläger aufgetreten oder aber um Personen, die in ihrer Karriere nach der Wende den Weg in die wirtschaftliche Selbstständigkeit gegangen sind. Eins ins Stammbuch des Herrn Kluge: wenn sich ein
Jens Weißflog 1998 an einer Unterstützerkampagne für die (bekanntlich gescheiterte) Wiederwahl des damaligen
Bundeskanzlers Helmut Kohl beteiligt, dann ist das zuallererst einmal seine Privatsache. Ihm im süffisanten Ton mit dem Hinweis auf seine frühere
Volkskammer-Abgeordnetentätigkeit für die
FDJ zu kommen (wie auch in den Fällen
Heike Drechsler und
Katarina Witt zelebriert) ist ganz schlechter Stil. Bei den bereits erwähnten Dopingzeugen/-nebenklägern (die en passant als mehr oder weniger als von der
BILD-Zeitung gesteuerte Objekte gezeichnet sind) werden wie im Fall der Schwimmerin
Rica Reinisch ganz genüsslich abgebrochene Ausbildungen, Ehescheidungen und ähnlich diskreditierende Dinge aufbereitet. Das hat mehr als nur ein Geschmäckle. So heißt es ferner über die als Spätfolge des
Anabolika-Dopings mittlerweile als Mann lebende Kugelstoßerin
Heidi (Andreas) Krieger, dass "sie/er nach der Operation häufiger Gast in Unterhaltungs(!)shows" war.
Das Faß zum Überlaufen brachte aber ein Satz, der mich fast versuchte, dass Buch in die Ecke zu donnern. Der Zehnkampf-Olympiasieger von 1988, Christian Schenk, der nach der Wende eine mehrjährige Tätigkeit beim ZDF ausübte, bevor er, um eine eigene Firma zu gründen, in seine alte Heimat zurückkehrte, wird mit dem Satz "Doch sein Versuch, möglichst schnell ein Wessi zu werden, schlug fehl" bedacht. Unglaublich! Hier und in einigen anderen Fällen ist der ehemalige Pressechef des NOK der DDR deutlich zu weit gegangen; dass der von mir sonst sehr geschätzte Schwarzkopf & Schwarzkopf-Verlag so ein Machwerk veröffentlichte, kann ich nach wie vor nicht fassen.
Jammerschade, dass diese Ausfälle viele im Buch aufgeführte und nach wie vor von mir sehr respektierte und bewunderte DDR-Sportler mit in den Sumpf ziehen. Tragische Schicksale, wie die des Radsportlers
Detlef Macha oder des Fußballers
Reinhard Lauck, bleiben somit nur Fußnoten in diesem sowohl sprachlich als auch moralisch unterirdischem Buch.
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