Aus gegebenem Anlass mal wieder eine kleine TV-Kritik.
(Cover: Amazon.de)
Zu Recht erinnern die Leipziger daran, dass es vor allem die Ereignisse am 09. Oktober des Jahres 1989 in ihrer Stadt waren, die die Weichen für den letztendlich friedlichen Verlauf der politischen Wende in der DDR stellten, auch wenn man nicht vergessen sollte, dass es an jenem denkwürdigen Tag auch in anderen Städten des Landes politische Demonstrationen gab, die aber aufgrund des fehlenden bewegten Bildmaterials nicht so gut dokumentiert sind.
Dieses Doku-Drama in seinem Mix aus tatsächlichen Ereignissen nachgestellten Spielszenen, Zeitzeugeninterviews und historischen Aufnahmen schildert - seinem Titel zum Trotz - nicht nur die Geschehnisse dieses historischen Montags, als nach dem Abschluß der zeitgleich in vier Kirchen stattfindenden Friedensgebeten etwa 70.000 Menschen auf dem Leipziger Innenstadtring für Demokratie und politische Reformen demonstrieren, sondern zeigt auch die in den vorangegangenen Wochen erfolgte Eskalation, als nach ersten öffentlichen Protestbekundungen Oppositioneller mit aller Härte von den staatlichen Organen eingegriffen wird. Aufgrund dieser Vorkommnisse werden für den 9. Oktober massive Kräfte von Polizei, Staatssicherheit, Betriebskampfgruppen und der DDR-Fallschirmjäger in und um Leipzig zusammengezogen, um nach Aussage vom im Film präsentierten internen Dokumenten die "Konterrevolution ein für allemal zu zerschlagen". Dass es an diesem Abend, auch aufgrund eigenmächtiger Entscheidungen von SED-Funktionären, zu keiner "chinesischen Lösung" gab, war keinesfalls vorauszusehen und gab dem Film seinen Namen.
Eine hochemotionale Reise in die Geschichte wird hier geboten, in der sich die Filmemacher auch nicht scheuten, neben Dissidenten, Ost- und Westjournalisten, Pfarrern oder ganz normalen Bürgern, die sich der Demonstration anschlossen, auch die Gegenspieler aus dem Sicherheits- und Parteiapparat zu Wort kommen zu lassen, eine in meine Augen nur faire Geste. Unverständlich hingegen, warum ein Auftritt des damaligen Pfarrers der Nikolaikirche, Christian Führer, fehlt, bildete doch sein Gotteshaus das Ausgangszentrum des Geschehens. Aber vielleicht bildeten die heutzutage nahezu unbekannten und erst in einer jüngsten Ausgabe des SPIEGEL thematisierten politischen Differenzen zwischen den Kirchenfunktionären und den teilweise im Film auftretenden Bürgerrechtlern ein zu großes Hindernis.
Desweiteren hätte ich mir erinnernde Statements von Kurt Masur und Bernd-Lutz Lange gewünscht, denn neben dem zu Wort kommenden Mitglied der SED-Bezirksleitung Kurt Meyer, zweier dessen Parteigenossen und dem Pfarrer Peter Zimmermann zeichneten diese für einen legendären Aufruf verantwortlich, der die Demonstranten zu Besonnenheit und Gewaltlosigkeit mahnte und der an jenem Abend mehrfach über die Lautsprecher des Leipziger Stadtfunks gesendet wurde.
Zwei weitere Kritikpunkte sind noch anzumerken. Die Filmmusik ist stellenweise sehr aufdringlich und eine Spur zu dramatisch eingesetzt, dabei sprechen die Bilder auch ganz allein für sich. Dies ist aber noch zu verschmerzen, ganz im Gegensatz zu einer Stelle, die mich sehr verärgert hat, da sie durch aus dem Kontext gerissene historische Zitate Geschichtsverfälschung betreibt. Zu hören sind gleich zu Beginn zwei kurze Originaltöne der ZK-Mitglieder Karl Kayser ("Ich habe geglaubt an die Partei, ich bin erschüttert über all das, was ich hier gehört habe! In mir ist alles zerbrochen! Mein Leben ist zerstört!") und Bernhard Quandt ("Wir haben im Staatsrat die Todesstrafe aufgehoben, ich bin dafür, dass wir sie wieder einführen und wir alle standrechtlich erschießen, die unsere Partei in eine solche Schmach gebracht haben!") zu hören, die beweisen sollen, dass die SED-Oberen die Niederschlagung der Demokratie mit allen Mitteln planten. Aber: Ersteres Zitat stammt vom 10. November 1989, zweiteres gar vom 3. Dezember des Jahres (nachzuhören u. a. auf der empfehlenswerten CD des Deutschlandfunks "Götterdämmerung im Zentralkomitee - Tonprotokolle aus den letzten Sitzungen des ZK der SED Oktober bis Dezember 1989") und beide beziehen sich explizit auf die zu diesem Zeitpunkt bereits abgesetzten Honecker & Co. Das hätte absolut nicht sein müssen und schmälert die Glaubwürdigkeit eines ansonsten sehr empfehlenswerten Stücks Zeitgeschichte.
Bewertung: 4 von 5
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