Dienstag, 12. Oktober 2010

CD-Rezensionen (203): The Cure - Pornography (Deluxe Edition) (1982)

(Cover: Amazon.de)

Es gibt in der Geschichte der populären Musik einige Platten, die man als seelisch labiler Mensch mit etwas Vorsicht genießen sollte. Das 1982er Erzeugnis der Herren Smith, Gallup und Tolhurst gehört mit Sicherheit dazu. Die zu diesem Zeitpunkt schwer drogen- und alkoholgeplagte Band goss hier alles, was die wenig optimistischen frühen 80er Jahre an Hoffnungslosigkeit zu bieten hatten, in ein absolut markerschütterndes Soundgewand, eine Ton gewordene Ausgabe von Goethes "Die Leiden des jungen Werthers" in acht Songs.

Wo soll man anfangen? Mit der die abgrundtiefe Stoßrichtung bereits zu Beginn aufzeigenden Textzeile "It Doesn't Matter If We All Die" beim mit seinen sägenden Gitarrenklängen schwer unter die Haut gehenden "One Hundred Years"? Oder dem wilden Bass/Drums-Duell der Singleauskopplung "The Hanging Garden"? Man taucht mit zunehmender Spieldauer immer tiefer in die Cure'sche Abwärtsspirale ein, Smiths teilweise wie hingeworfen klingende Gitarrenakkorde wirken in ihrer Filigranität wie ein Netz, das sich den Hörer umso tiefer darin verstricken lässt, je energischer er sich daraus zu befreien sucht. Diese hypnotische Wirkung wirkt faszinierend und beunruhigend zugleich, sehr gut beispielsweise beim Track "Siamese Twins" oder dem über sechsminütigen "The Figurehead" zu beobachten.

"A Strange Day" bekam einen grandiosen Chorus spendiert, der gegen die tiefdepressiven Strophen aufzubegehren scheint. Übertroffen noch von "Cold", einer einzigartigen Mischung aus Synthesizer- und Cello-Klängen, Robert Smiths klagendem Gesang und stark schaumgebremsten Drums. Sollte es jemals so etwas wie eine ultimative Wave-Hymne geben - hier ist sie! Mit der verstörenden Soundcollage "Pornography" entrinnt man dem Alptraum mit knapper Not, nicht ohne jedoch den Ratschlag "Find A Sickness, Find A Cure!" hinterhergerufen zu bekommen. Ein schaurig-schöner Höllentrip!

Die Bonus-CD dieser Deluxe Edition widmet sich wie auch schon diejenigen der Vorgängeralben allerlei Raritäten aus dem Demo- und Liveaufnahmenbereich. In ersterem darf "Break" schräg aus den Boxen scheppern, während die ohne Vocals aufgenommenen "Demise" und "Temptation" wie auch "The Figurehead" und "The Hanging Garden" in sehr guter Soundqualität daherkommen. "One Hundred Years" klingt hingegen noch richtig unfertig, eine breit wabernde Synthiefläche drängt die das Albumoriginal prägenden Gitarrensounds deutlich in den Hintergrund, die Drums sind lediglich behelfsmäßig mit einer Sequencer-Linie vertreten. Richtig experimentell geht es hingegen beim 13minütigen "Airlock: The Soundtrack" zur Sache. Ein wild und scheinbar ohne Plan klimperndes Piano, kombiniert mit allerlei Geräuschkulisse und einem ebenfalls eher improvisierten Bass ergeben ein schwerverdauliches, aber nicht uninteressantes Endergebnis.

Sechs Live-Tracks in Bootleg-Qualität (bis auf die scheinbar aus dem Soundboard gezogenen "A Short Time Effect" und "Siamese Twins") geben einen guten Einblick in die Konzertqualitäten der Truppe, bevor das hervorragende Studiodemo "Temptation Two" nach stolzen 115 Minuten Spieldauer einen Schlußpunkt unter dieses Glanzstück einer jeden Musiksammlung setzt. Volle Punktzahl, gar keine Frage!

Bewertung: 5 von 5