Samstag, 19. Februar 2011

Soundtrack Of My Life (034): Abigail Mead & Nigel Goulding - Full Metal Jacket (1987)

In der 9. Klasse bekamen wir eine neue Musiklehrerin vor die Nase gesetzt. Diese peinigte uns sowohl mit der üblichen Propaganda-Tonkunst, von der mir ganz besonders Paul Dessaus an Arnold Schönberg und Alban Berg angelehntes und somit schwerverdauliches "Lilo Herrmann"-Melodram (lässt sich auf den üblichen Videoportalen nachhören) in peinigender Erinnerung geblieben ist. Allerdings wurde auch versucht, neben dem jetzt dankenswerterweise reduzierten Gesangsanteil (schließlich befand sich so mancher im Stimmbruch), den überwiegend gelangweilten Teenagern Klassik oder Jazz näherzubringen. Das fand man damals natürlich schrecklich öde, der interessierte Blick über den musikalischen Tellerand entwickelte sich bei mir erst deutlich später.

Ein- oder zweimal im Schuljahr wurde uns aber ein ganz besonderes Angebot angetragen. Wir sollten ganz einfach unsere favorisierte Musik anschleppen, diese wurde in einen Kassettenrecorder eingeworfen und danach lehrerseitig diskutiert. Freilich differierte da der männliche und weibliche Geschmack in der Schülerschaft erheblich. Wir halbstarken Jungs verleierten die Augen, wenn uns solche "Perlen" wie "Joe le Taxi" von Vanessa Paradis an den Kopf flogen und die holde Weiblichkeit konnte nix mit den Ärzten oder den Toten Hosen anfangen.

Mein Ehrgeiz bestand bei diesen Gelegenheiten immer darin, etwas mitzubringen, das garantiert keiner auf dem Plan hatte, unsere Lehrerin am Allerwenigsten. Persönliche Antipathie? Rache für "Lilo Herrmann"? Ich weiß es nicht mehr. So malträtierte ich die Klasse einmal mit "Galleons Of Stone" von The Art Of Noise und eines Tages rappelte es mich vollständig, als ich Abigail Meads und Nigel Gouldings "Full Metal Jacket" aus dem gleichnamigen Kubrick-Film (der in der DDR als "zu zynisch" verboten war) anschleppte. Ich hatte den Track, der mit seinen schrägen Tempiwechseln und dem eindringlichen Gebrüll des legendären R. Lee Ermey alles andere als mehrheitsfähig war, zwar seltsamerweise im ostdeutschen Radio ergattert, aber mit wilden Drums angereicherte Marching Chants des United States Marine Corps in einer sozialistischen Schule öffentlich aufzuführen, wirkt in der Rückschau dann doch etwas leichtsinnig-verrückt. Ein Glück, dass die Dame im zweiten Fach kein Englisch gab, sonst hätte das mit großem Ärger enden können...

Freitag, 18. Februar 2011

Soundtrack Of My Life (033): Gazebo - Lunatic (1983)

Wenn man, wie ich zu meinen Teenagerzeiten, nicht gerade mit einem überbordenden Ego gesegnet war, begriff man die ersten Gehversuche auf dem Terrain des Geschlechterkontakts vor allem als eines: Schauen, Schmachten, Starren und irgendwie auf Aufmerksamkeit hoffen. Für selbstbewusste Ansprachen fehlte dann ganz einfach das persönliche Rüstzeug, so dass man immer auf eine glückliche Gelegenheit oder eine wundersame Fügung des Schicksals wartete. Eine dafür gerne aufgesuchte Örtlichkeit war die hier zweimal jährlich stattfindende Kirmes, deren Attraktionen zu DDR-Zeiten sicherlich nicht so spektakulär waren wie jenseits der Mauer, deren Aufbau aber ähnlich daherkam. Das Jungvolk traf sich am Autoscooter oder einer ähnlichen zum Schaulaufen geeigneten Location, man ließ sich von der angesagten und in ohrenbetäubender Lautstärke durch die Boxen gejagten Musik unterhalten und verbrachte damit tagelang den Großteil seiner Freizeit.

Eine jener Wochen aus der Mitte der 80er wird mir aus mehreren Gründen unvergesslich bleiben. Nicht nur, dass ich erstmals hautnah Augenzeuge der Staatsmacht wurde, als zwei angetrunkene, aber relativ harmlose Pöbler von der heraneilenden Volkspolizei brutal niedergeknüppelt wurden, nein man übte sich auch tagelang in oben beschriebener Extremsportdiszplin und stellte neue Dauerrekorde im Stieren ohne Augenblinzeln auf, freilich ohne das das Objekt der Begierde überhaupt auf einen aufmerksam wurde. Ich weiß bis heute nicht mal ihren Namen.

Irgendwie arg durchgeknallt und damit perfekt zu einem damals sehr oft im Hintergrund laufenden Songs passend - "Lunatic" des Italo-Poppers Gazebo...

Dienstag, 15. Februar 2011

Soundtrack Of My Life (032): The Communards - Tomorrow (1987)

Der heute als Riesaer Stadthalle fungierende STERN war in meinen Jugendjahren ab etwa 1986 die erste aufgesuchte Ausgeh-Lokalität. Bereits für Teens ab 14 Jahren wurden solche Veranstaltungen unter dem Namen "Schüler-Diskothek" angeboten. Zeitrahmen: 16-20 Uhr, Alkohol und Einhaltung der eigentlich vorgeschriebenen 60/40-Regelung: Nope! Der Ablauf war jedesmal ähnlich, es gab immer irgendwelche "Runden", damit der Westcharts-Popfan ebenso auf seine Kosten kam wie Anhänger der Ärzte (wüste Spring- und Pogorunden, ich erinnere mich...) oder die dann immer zu wilden Luftgitarren-Performances auflaufenden Anhänger der metallenen Fraktion. Nicht selten kam es dabei vor, dass sich um die gerade die (aus Parkettboden bestehende) Tanzfläche belegenden Akteure ein interessierter Zuschauerkreis bildete, nicht selten eher belustigt als beeindruckt.

An einen ganz besonderers bizarren Auftritt entsinne ich mich noch sehr gut. Der Mitte der 80er die DDR-Kinos stürmende Hip Hop-Film "Beat Street" hatte auch in hiesigen Gefilden Anhänger des Breakdance rekrutiert, die den Leinwandvorbildern natürlich nachzueifern suchten. Nicht immer mit überzeugendem Ergebnis, dafür aber mit umso mehr Enthusiasmus. Allerdings schien sich einer jener Jünger, ein, nun ja, mit einem etwas weniger akrobatikgeeignetem BMI gesegneter und daher respektlos "Fatty, der STERN-Breaker" genannter Tänzer wenig um die dazu passende Musik zu scheren und wogte mit wilden Bewegungen zu allen Klängen, die ihn anzuregen schienen, übers Parkett. Warum er sich aber gerade für einen seiner spektakulärsten Auftritte, der ihm bei versuchten Powermoves wild wegspringende Hemdknöpfe und ein in alle Einzelteile zerlegtes Portemonnaie einbrachte, ausgerechnet das von Jimmy Somervilles Sirene intonierte "Tomorrow" der Communards aussuchte, wird wohl ewig sein Geheimnis bleiben...

Montag, 14. Februar 2011

Soundtrack Of My Life (031): Shalom - Bon Soir, Mademoiselle Paris (1992)

Seltsam. Beackerte ich diese Blogkategorie früher maximal einmal monatlich, fällt mir heute fast jeden Tag eine Geschichte ein. Der heutige Song schließt sozusagen die "Chomutov-Trilogie" (die vorangegangenen Teile hier und hier) ab und führt zurück ins Jahr 1992.

Der Grund, warum es uns damals in die Kleinstadt jenseits des Erzgebirgskamms zog, war der einfache Umstand, dass der "Gasfuß" (siehe Teil zwei) in jenem Jahr seinen Unteroffizierslehrgang im grenznahem Marienberg absolvierte und bei einem Trip auf die andere Seite jenen von Bulgaren geführten Club entdeckte, in den wir später fast wöchentlich einfielen. Klar wurde dort überwiegend der gängige internationale Schmiss gespielt, aber mir fiel in jenen Nächten besonders eine tschechische Ballade auf, von der ich zwar nahezu kein Wort verstand, mir aber trotzdem irgendwie ans Herz ging. Meine Sprachkenntnisse beschränkten sich damals darauf, halbwegs unfallfrei Getränke zu ordern und die Übernachtung zu sichern, für eine tiefergehende Analyse fehlte aber eindeutig das Vokabular. Meine damalige Herzensdame, mit der ich mich mangels englischer oder deutscher Sprachkenntnisse auch nur halbwegs mit Händen und Füßen verständlich machen konnte, vermochte mir zumindestens beizubringen, es hier mit Shalom, dem damals angesagtesten Act der zu diesem Zeitpunkt noch in den letzten Zügen existierenden Tschechoslowakei zu tun zu haben. Erst Jahre später, zu Beginn meiner Internet-Aktivitäten, konnte ich etwas tiefer in der Geschichte der Band schürfen, die als Nachfolgeprojekt des einheimischen Superstars Petr Muk zu seiner ersten Band Oceán (der nationalen Ausgabe von Depeche Mode) gegründet wurde und nur bis 1996 existierte.

Der Song stimmt mich immer noch sehr melancholisch, zumal ich erst durch die Recherche zu diesem Beitrag von dem Umstand erfuhr, dass Petr Muk im Mai 2010 unter bis heute nicht restlos geklärten Umständen tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde und das im Alter von gerade einmal 45 Jahren. Měj se hezky, Petr a děkuji...*

*Machs gut, Petr und danke...

Samstag, 12. Februar 2011

Soundtrack Of My Life (030): Culture Club - God Thank You Woman (1986)

Wie ich bereits an anderer Stelle einmal anmerkte, sah es im DDR-TV mit dem Abspielen offizieller Videoclips westlicher Bands bis zum Start des als letzten Rettungsversuchs gedachten Jugendprogramms "Elf 99" im Spätsommer 1989 eher düster aus. Im Radio pfiff man fröhlich auf alle Urheberrechte und jagte von sogenannten "Reisekadern" in West-Berlin besorgte Alben in Gänze über den Äther. So einfach waren bewegte Bilder freilich nicht zu bekommen, man behalf sich da lieber mit in Italien angekauften Promoauftritten der Top-Künstler bei den dortigen Musikfestivals von Sanremo und Saint-Vincent. So bekam ich eben "Stripped" von Depeche Mode, "The Wild Boys" von Duran Duran oder andere Acts statt der bei "Formel Eins" oder MTV laufenden Filmchen auf einer Bühne performt zu Gesicht - immerhin besser als nichts!

Nur ganz selten hatte man irgendwo ein "richtiges" Video ergattert, ich erinnere mich da an "The Jet Set" von Alphaville oder "Lovers In A Dangerous Time" von Bruce Cockburn. Ganz besonders ist mir aber ein anderer Clip in Erinnerung geblieben - "God Thank You Woman" von Culture Club aus dem Jahre 1986 - kurioserweise einer der erfolglosesten Songs der Band, der in seinem Erscheinungsjahr nicht einmal die deutschen oder amerikanischen Top100 erreichte und in Großbritannien auch gerade mal auf Position 31 landete. Dabei finde ich den Track mit seinem funky Rhythmus nach wie vor sehr knackig. Boy George, in diesem Fall vergleichsweise recht zurückhaltend gestylt (man vergleiche das einmal mit dem Video zu "The War Song"!), wackelt sich neben seinen Bandkollegen durch eine Studiokulisse, in die Filmsequenzen der Leinwandgöttinnen Claudia Cardinale, Brigitte Bardot, Sophia Loren und Britt Ekland einkopiert sind. Mehr 80er geht wirklich nicht...

Donnerstag, 10. Februar 2011

Soundtrack Of My Life (029): Bizz Nizz - Don't Miss The Partyline (1990)

Das Jahr 1990 wird mir immer als eines der verwirrendsten und ereignisreichsten meines Lebens in Erinnerung bleiben. Besonders die wenigen Monate zwischen Einführung der D-Mark in der DDR am 01. Juli bis zur Wiedervereinigung am 03. Oktober hatten etwas von völlig gesetzlosen Zuständen á la Wilder Westen. Kein Wunder, es galten noch die rechtlichen Regelungen der DDR, die für die tatsächlichen Umstände gar nicht vorgesehen waren und somit reichlich Spielraum für allerlei Anarchie und auch Kriminalität ließen.

Auch in der beschaulichen sächsischen Provinz tat sich diesbezüglich so einiges, darüber hinaus schossen überall behelfsmäßig errichtete Verkaufsstände und auch neue Partylocations aus dem Boden. Der in diesen Erinnerungen schon erwähnte "Dampfer" mutierte in jenen Tagen zum halb illegal bewirtschafteten Roulette-Casino, andere meiner vorher besuchten Wochenend-Ziele schlossen ganz. Dafür eröffnete ganz in der Nähe meiner Wohnung ein später zum Riesaer Großgastronomen (und mittlerweile wieder total abgestürztem) aufgestiegener, vorher völlig Unbekannter ein riesiges Zelt für Partyveranstaltungen. Aus heutiger Sicht geradezu absurd primitiv mit Holzbohlenboden bis zur die Tanzfläche bergende, Stirnseite, ein paar Bierzeltgarnituren am Tand - eine Luxus-Disse sieht anders aus! Trotzdem drängelten sich vor dem Einlass an allen Öffnungstagen die Massen, schon mangels alternativer Angebote in der Stadt.

Was diesem Tanztempel im IKEA-Style allerdings von seinen Vorgängern unterschied, war die zugegeben beeindruckende Licht- und Tonanlage, die sich doch erheblich von den größtenteils per Eigenbau entstandenen Ausrüstungen der DDR-Klitschen unterschied. In den Boden war sogar eine Edelstahl-Tanzfläche eingelassen und das war für uns Ossikinder nun wirklich etwas Neues, hatte man doch bis dato auf dem naturgegebenen Fliesen- oder Parkettboden der jeweiligen Lokalität abgehoppelt. Dieses Stück Metall brachte mich allerdings in einer lauen Sommernacht jenen Jahres in leichte Balanceschwierigkeiten, womit ich den Bogen zum Tanzflur-Stampfer "Don't Miss The Partyline" von Bizz Nizz schlagen kann.

In jenen Tagen war in hiesigen Breiten ein seltsamer Tanzstil aufgekommen, der eine Art schnellen Moonwalk auf der Stelle darstellte. Man joggte also in ruckartigen Bewegungen, ohne sich groß von seiner Position auf der Tanzfläche wegzubewegen. ich braucte eine Weile, bis ich mir das koordinationstechnisch draufgeschafft hatte, dann legte ich aber umso wilder los. Was ich an jenem Abend nicht sah: Irgendjemand hatte just dort eine Tube Haargel fallen gelassen (wer schleppt eigentlich sowas mit auf die Piste???), ich latschte in meinem Toben natürlich drauf und kleisterte meinen Standpunkt ordentlich mit dem perfekten Gleitmittel ein. Ich war so in Partylaune (und wohl alkoholtechnisch auch etwas angebrütet), dass ich das gar nicht mitbekam, mich allerdings über meine immer mehr in den Spagat drängenden Beine wunderte. Mein damaliger Freundeskreis stand freilich breit grinsend daneben und genoss sichtlich die etwas kurios anmutende One-Man-Show...

Dienstag, 8. Februar 2011

Soundtrack Of My Life (028): Queen - Bohemian Rhapsody/Bonnie Tyler - Holding Out For A Hero (1975/1984)

Heute wieder einmal ein Song-Doppelfeature. Die Gemeinsamkeit der beiden doch so unterschiedlichen Tracks besteht in ihrem Einsatz als Beschallung im Auto in einer doch sehr intensiv gelebten Zeit meines Lebens in den Jahren 1992 und 1993. Wie bereits in einem vorangegangenen Blogeintrag geschildert, verbrachten wir - ein aus etwa 4-5 Personen bestehender Freundeskreis - unsere Wochenenden oftmals jenseits der Grenze im tschechischen Kleinstädtchen Chomutov. Ich gebe im Nachhinein gerne zu, dass man es dort ordentlich hat krachen lassen, großzügige Verkostung diverser Alkoholika inklusive. Kein Wunder, war es doch damals bei Wechselkursen zwischen D-Mark und Krone nahe der 1:20-Marke geradezu unverschämt billig, so dass wir auch gerne die etwa 150 Kilometer Anfahrt auf uns nahmen. Aus heutiger Sicht schaut man mit etwas Altersmilde auf die vielen Albernheiten und spätpubertären Ausschweifungen der damaligen Tage, wofür Queens 1975er Opernheuler "Bohemian Rhapsody" und das neun Jahre später veröffentlichte "Holding Out For A Hero" der Waliserin Bonnie Tyler beispielhaft stehen.

Zur Erklärung des ersten Teils ist zunächst einmal die Kenntnis der Klamotte "Wayne's World" aus dem Jahre 1992 notwendig. Gleich zu Beginn fahren die Hauptcharaktere, der von Mike Myers gespielte Wayne, sein bester Kumpel Garth (Dana Carvey) und deren Freunde mit Garths klapprigem AMC Pacer durch die nächtliche City, dabei das im Autoradio laufende "Bohemian Rhapsody" mitsingend. Als endlich Brian Mays ruppiges Gitarrensolo einsetzt, verfallen alle fünf Autoinsassen in wüstes Headbangen. Nun ja, exakt diese Filmszene wurde von ein paar Feierwütigen in diversen fahrbaren Untersätzen auf praktisch jeder Reise zum Teil mehrfach nachgestellt...

Bonnie Tylers Song aus deren Jim Steinman-Phase wiederum diente als Entfernungs- bzw. Zeitmesser. Wir suchten in Chomutov bis zu drei verschiedene Clubs auf und pendelten gelegentlich mehrfach pro Nacht hin und her, je nach Gemütslage und Partyzustand vor Ort. Die Entfernungen betrugen diverse Kilometer quer durch die Stadt, doch einmal schaffte es der rasanteste im Team, die Strecke innerhalb dieses Songs abzubrettern, der Rest der Insassen an alle Angstgriffe der Karre geklammert. Kaum zu glauben, dass der Verursacher dieses Leichtsinns heute als Berufskraftfahrer tätig ist. Aber alles gut gegangen, alles verjährt und wie ich heute weiß, ist er mittlerweile auch deutlich entspannter unterwegs...

Dienstag, 1. Februar 2011

CD-Rezensionen (216): Bay City Rollers - Absolute Rollers (1996)

(Cover: Amazon.de)

Den Teenie-Hysterien und reihenweise Ohnmachtsanfälle auslösenden Bands der Popmusikgeschichte, ob nun Boygroups genannt oder auch nicht, wurde oftmals musikalisches Unvermögen, wenn nicht gar produzentenferngesteuerter Dilettantismus vorgeworfen. Dass aber in den Zeiten, als eben noch nicht verschiedene, auf die jeweilige weibliche Zielgruppe gecastete Typen singend und tanzend auf der Bühne standen, im Regelfall ihre eigenen Songs schreibende und Instrumente spielende echte Musiker zu Werke gingen, wird in der Rückschau gerne vergessen. Die schottischen Bay City Rollers um Les McKeown, Eric Faulkner und die Longmuir-Brüder, deren Songs meine Kinderzeit begleiteten, gehören zu jener erfolgreichen Mischung aus eingängigen Softrock-Songs und den mit dem kommerziellen Erfolg einhergehenden Begleiterscheinungen wie umkippender Mädchen und Fanrivalitäten mit den Anhängern der Konkurrenzkapelle The Sweet.

Diese "Greatest Hits"-Kopplung enthält auf einer mit einer Lauflänge von 75 Minuten rappelvollen CD nahezu alle Hits der Rollers, abgesehen vom zum Jahreswechsel 1976/77 immerhin auf Platz 13 der deutschen Charts gelangten "Yesterday's Hero". Bei den Nummern aus der zweiten Hälfte des Jahrzehnts macht sich hörbar der aufkommende Einfluss der Disco-Welle bemerkbar, während bei den frühen Songs noch eher etwas ruppig-verspielt mit Elementen des Glam Rocks zugelangt wird. Nicht alle Songs wurden von den Bandmitgliedern geschrieben, so finden sich auf diesem Repertoire-Querschnitt beispielsweise die Bowie-Nummer "Rebel, Rebel" oder Stücke aus der Feder Jeff Barrys, Phil Coulters oder Bob Crewes.

Allerdings können nicht alle Tracks überzeugen. "Once Upon A Star" driftet trotz leichter Beatles-Anleihen zu stark ins Schlagerhafte ab, bei anderen, wie z.B. "The Way I Feel Tonight" wird die Kitschgenze deutlich überschritten. Am stärksten waren die Rollers immer dann, wenn einfach geradeaus gespielt würde, ob nun bei "Shang-A-Lang", "It's A Game", "Bye Bye Baby" oder "Rock N' Roll Love Letter"

Der abschließende Megamix mag für Sammler interessant sein, unbedingt nötig war er in diesem 23 Tracks umfassenden Kompendium keineswegs.

Bewertung: 3 von 5

Dienstag, 25. Januar 2011

CD-Rezensionen (215): Garland Jeffreys - Don't Call Me Buckwheat (1992)

(Cover: Amazon.de)

Es gibt sie noch, die glücklichen Zufälle im Leben, die einem großartige Musik näherbringen. Irgendwann im Jahre 1992 oder 1993 saß ich in einer heute schon längst nicht mehr existierenden Kneipe und lauschte einer im Hintergrund abgespielten CD, die mir ungemein gut gefiel, deren Interpreten ich allerdings nicht so recht einzusortieren wusste. Ja, das war immer die gleiche Stimme, dennoch hatte jedes Stück einen komplett anderen Stil zu bieten. Hier mal etwas Gospel ("Moonshine In The Cornfield") und da groovte ein Boogie-Woogie ("Don't Call Me Buckwheat") durch die Boxen. Erst als der damalige Singlehit "Hail Hail Rock 'N' Roll" erklang, konnte ich dieses Sammelsurium dem 1980 durch den Chartserfolg "Matador" zu Bekanntheit gelangten Garland Jeffreys zuordnen.

Dieses Album hat einen textlich roten Faden: Rassismus in der US-Gesellschaft und die damit verbundenen privaten Erfahrungen des Sängers, eines Mischlings. So fröhlich die Musik (z.B. die im Reggae-Sound gehaltenen "Color Line", "Bottle Of Love" und "Murder Jubilee") stellenweise wirken mag, die bitteren Zeilen gehen oftmals schwer an die Nieren, saß doch Jeffreys aufgrund seiner Herkunft oftmals zwischen allen Stühlen.

Die zweite Single-Auskopplung "The Answer" wurde ebenfalls noch zum mittleren Hit, so dass dieses Album Anspruch und kommerziellen Erfolg sehr gut miteinander zu verbinden weiß. Dazu eine beeindruckende Mischung aus karibischen, lateinamerikanischen und gängigen Popklängen sowie einer äußerst wandlungsfähigen Stimme - volle Punktzahl!

Bewertung: 5 von 5

Samstag, 22. Januar 2011

Soundtrack Of My Life (026): Johnny Hates Jazz - Shattered Dreams (1987)

Die heutige Geschichte dreht sich eigentlich weniger um Musik, sondern um - Klamotten.

Bekanntlich kam man in der DDR zwar per Radio durchaus an die gängigen West-Hits, die zugehörigen Musikvideos bekam man aber höchst selten zu Gesicht. Im heimischen TV lief sowas praktisch gar nicht, mit viel Glück konnte man hier, hart am Rand des sogenannten "Tals der Ahnungslosen", mal halbwegs bildrauschfrei "Formel Eins" empfangen, oftmals blieb aber auch das nur Illusion. So kam es, dass ich den Clip des 87'er Hits von Johnny Hates Jazz erst mit einigen Jahren Verspätung so um das Jahr 1992/93 herum erstmals sah. Sänger Clark Datchler stiefelte darin, wenn er nicht mal gerade in schnieke End-Achtziger-Tapete gewandet war, in einer Art 20er Jahre Working Class-Outfit herum, das mir ausnehmend gut gefiel. Ich besorgte mir also umgehend ein paar Hosenträger (meiner Erinnerung nach ein paar hundsteure aus der CAMEL COLLECTION), ein weißes Hemd fand sich noch irgendwo im Schrank, dies mit ein paar Retro-Hosen und passenden Schuhen kombiniert und fertig war mein neuer Ausgehlook, gerne auch vervollständigt durch eine Schiebermütze, ein Familienerbstück. Das war wohl zwar alles andere als 90er Stil, aber mir war das wurscht.

In dieser Zeit pendelte mein Freundeskreis beim wochenendlichen "Pistengang" immer zwischen zwei weit auseinanderliegenden Clubs hin und her. Der eine lag praktisch vor der Haustür, der andere im etwa 150 Kilometer entfernten tschechischen Chomutov. Dort war es Anfang des Jahrzehnts natürlich spottbillig, wie quartierten uns für 14 DM/Nacht in einem Dreibettzimmer ein und waren selbst nach durchfeierter Nacht alles andere als pleite. Ein wenig musste man allerdings aufpassen, ob die dort herumtanzenden Damen rein privat oder aus "gewerblichen" Zwecken anwesend waren. Als mir beispielsweise in einer Freitagnacht die Luft in dem wohl halbillegalen und nicht viel mehr als wohnungsgroßen Etablissement doch zu schneidend wurde, trat ich auf die vorgelagerte Straße und wurde umgehend von zwei sichtlich aufgekratzten Vertreterinnen des Berufsstands angesprochen. Obwohl ich wenig Lust auf ungeplante Finanzausgaben verspürte, wurde mein "Shattered Dreams"-Gedächtnis-Hemd kurzerhand mit zahlreichen Lippenstift-Abdrücken dekoriert, ehe das Duo feixend weiter seines Weges zog. Ich war einfach zu perplex, um dagegen aufzumucken und bei der morgendlichen Inspektion des Kleidungsstücks wirkte das Kussmund-Muster schon wieder in irgendeiner Form cool.

Das wiederum brachte mich auf die verrückte Idee, das Teil in diesem Zustand am wieder in heimatlichen Gefilden verbrachten Samstagabend erneut anzuziehen. Verschwitzt, verraucht, nicht mehr taufrisch? Egal, ordentlich gelüftet und einparfümiert und es war wieder tragbar! Aus heutiger Sicht ist die ganze Geschichte zwar höchstgradig albern und spätpubertär, aber mit dem im Schwarzlicht odentlich hervorstechenden vollgeknutschten Hemd kam man sich in der Kleinstadtdisse wirklich vor wie die coolste Sau im Schweinestall... Danke, Clark!

Donnerstag, 20. Januar 2011

Soundtrack Of My Life (025): Stephan Remmler - Vogel der Nacht (1988)

Von Oktober 1994 bis September 1995 absolvierte ich meinen Wehrdienst in der Regensburger Nibelungenkaserne. Eines der oftmals angesteuerten Ziele nach Dienstschluss war das Mannschaftsheim, ein Mix aus Kneipe und Laden. Sei es, weil das Abendessen wieder einmal wenig einladend gewesen war oder man sich irgend eine Zeitschrift, diversen Soldaten-Nippes oder einfach nur eine Briefmarke für den Brief nach Hause leisten wollte, schließlich reden wir hier über die Prä-WWW-Zeit.

Einer der Mittelpunkte des hölzernen Einrichtungsalptraums war eine uralte Jukebox, deren musikalischer Inhalt scheinbar seit den ausgehenden 80er Jahren nicht mehr ausgetauscht worden war. Immerhin fanden sich darin für ein Mainstreampublikum doch recht ungewöhnliche musikalische Perlen wie "Close To Me" von The Cure, eindeutig meist gewähltetes Stück war jedoch der Schnulzenheuler "Vogel der Nacht" des ehemaligen Trio-Frontmanns Stephan Remmler und das hatte einen ganz bestimmten Grund.

Wurden die auf das Dienstende zusteuernden Rekruten der NVA im truppeninternen Jargon "EK's" (Entlassungskandidaten) genannt, so hatte sich bei der Bundeswehr der Begriff "Ausscheider" oder verknappend einfach "Scheider" eingebürgert. Dies wurde bei jeder sich bietenden Gelegenheit lautstark rufend zum Besten gegeben, manche hatten in der Betonung und Proklamation dieses Begriffs eine geradezu bewundernswerte Kreativität aufzubieten. Also von "Auuuuuuuuuuuuuuuusscheider" über "Aus! Schei! Der!" bis hin zum anbrüllenden "Scheider, Du Ratz!" gegenüber den eingeschüchterten "Frischlingen". Und um dem Ganzen auch noch eine musikalische Komponente hinzuzufügen, hatte man sich nun ausgerechnet des bereits erwähnten Remmler-Songs bemächtigt. Und so schallte es nach Geldeinwurf und Drücken der entsprechenden Taste regelmäßig im Rumbarhythmus durch das Mannschaftsheim:

"Scheider der Nacht! Flieg hinauf bis zum Mond..."

Montag, 17. Januar 2011

CD-Rezensionen (214): Farin Urlaub Racing Team - Die Wahrheit übers Lügen (2008)

(Cover: Amazon.de)

Wie so viele meiner Altersgenossen, die ihre Jugend in der DDR der 80er Jahre verbracht haben, bin ich ein langjähriger Ärzte-Fan, der Trennung und Wiederbeginn mit verändertem Stil wohlwollend begleitet hat. Irgendwann kristallisierte sich dann heraus, dass mir persönlich die Songs aus der Feder Farin Urlaubs sowohl in textlicher als auch musikalischer Hinsicht am deutlichsten zusagten. Insofern erschien es mir gar nicht einmal unlogisch, dass ich großen Gefallen an den beiden Soloveröffentlichungen des Blondschopfs, dem bissig-frechen "Endlich Urlaub!" (2001) und dem viel nachdenklicheren "Am Ende der Sonne" (2005) fand. Somit lag sowohl die Messlatte als auch meine Erwartungshaltung sehr hoch, als, nunmehr auch im Studio offiziell von seiner vielköpfigen Livetruppe "Farin Urlaub Racing Team" unterstützt, der dritte Solo-Silberling in die heimischen Plattenbestände wanderte.

Und scheinbar fügte sich alles wie gehabt zusammen. Gleich mit dem ersten Track-Trio kann ich prima leben, selbst wenn der eine oder andere Melodieverlauf arg vertraut erscheint. Die Single-Auskoppplung "Nichimgriff" knüppelt fröhlich vor sich hin, "Unscharf" thematisiert einmal mehr die Vertracktheit zwischenmenschlicher Kommunikation und das mit ordentlich Bläsereinsatz angeschärfte "Gobi Todic" rast durch seinen vor lauter Absurditäten geradezu strotzenden Text. Das ist nicht immer die hehre Kunst, aber mir gefällt's!

Schwieriger wird es danach. Farin Urlaub ist ein eigenwilliger und hochintelligenter Kopf, dessen persönliche Ansichten sich nicht immer mit den meinen decken. Sei's drum, ich mag es nur nicht, wenn ich vor lauter erhobenem Zeigefinger nicht mehr zum Musikhören komme. Das war schon bei "Lieber Staat" auf seinem Solo-Debüt so und setzt sich hier mit "Seltsam" fort. Ja, Pelze sind scheiße, aber das konnte man auch schon mal deutlich unplatter formulieren, schließlich hat man es doch hier eigentlich mit einem Meister des Wortwitzes zu tun.

"Krieg" (herrjeh, "Bap-schuwadiwadi"-Chöre habe ich das letzte Mal anno 1974 bei "Sugar Baby Love" von den Rubettes gehört...) trägt textlich und musikalisch geradezu Helge Schneidersche Züge und da ich den Mülheimer Jazzgott sehr verehre, kann also auch dieser Track bei mir punkten, ganz im Gegensatz zu "Pakistan". Die Reiselust des Autoren mal zu thematisieren ist sicherlich keine schlechte Idee, aber dies geschieht auf mich wenig packende Weise, das Liedchen plätschert halt vor sich hin, ohne jemals so richtig die Kurve zu kriegen.

"Niemals" hätte sehr gut auf "Das Ende der Sonne" gepasst, erneut werden unerwiderte Gefühle auf markerschütternde Art und Weise beschrieben, eindeutig eins der Highlights des Albums und bei "Leiche" ist der alte Zyniker Urlaub ganz in seinem Element. Vor zwei Dekaden hätte das eventuell einmal mehr die Indizierungsbeauftragten auf den Plan gerufen, heute wirkt das wunderbar entspannt. Sehr gut! "Monster" ist textlich zwar wahnsinnig plakativ, aber die Frage sei erlaubt: Trifft die Beschreibung der deutschen Formatradiolandschaft nicht den Nagel auf den Kopf? Und nach dem wunderschönen Liebeslied "Atem" wird bei "Karten" nochmal ordentlich in die Saiten gegriffen, leider ist der Refrain nur ein Wiedergänger von "Unter Wasser".

Damit wäre die "Büffelherde" benamste Haupt-CD abgeschlossen und der Vier-Track-Mini "Ponyhof" darf zu seinen Ehren kommen. Musikalisch komplett konträr wird hier in Reggae- und Dancehall-Gefilden gewildert, "I.F.D.G." groovt da mitsamt seinen bissigen Zeilen derart relaxt durch die Boxen, dass sich gleich ordentlich gute Laune einstellt. "Zu heiss", "Insel" blubbern da aber deutlich schwächer und uninspirierter vor sich hin. Wer mit derlei Musik ohnehin nichts anfangen kann, wird sich freilich irritiert abwenden. Wenigstens darf mit "Trotzdem" noch mal im Affentempo die Ska-Sau durchs Dorf gehetzt werden, selbst wenn der Text zum zigsten Mal die "Loser dieser Welt, gebt nicht auf!"-Thematik beackert. Insgesamt ein eher durchwachsenen Bonus.

Ich gebe zu, dass der Urlaub-Drittling im Gegensatz zu meinen Vorläufern deutlich mehr Durchläufe benötigte, um bei mir zu punkten. Ich mache das eigentlich ungern, entweder es packt mich sofort oder eben auch nicht. Dennoch hat es sich in diesem Falle durchaus gelohnt, auch wenn die zweithöchste Wertung nur für die Haupt-CD allein gilt, im Verbund mit dem "Ponyhof"-Anhang wird die um einen Punkt tiefere gezückt.

Bewertung: 4 von 5

Donnerstag, 6. Januar 2011

CD-Rezensionen (213): Blind Passengers - Born To Die (MCD) (1994)

(Cover: Amazon.de)

Sich musikalisch mit dem emotionalen Thema Tierversuche zu beschäftigen, ist auf dem ersten Blick erst einmal wohlfeil. Ein paar ergreifende Worte gegen die Qualen der Kreatur, dazu ein emotional aufwühlendes Coverfoto und der allseitige Beifall ist sicher. Ob man dann selbst im Alltag von den Ergebnissen der umstrittenen Tests profitiert oder sich konsequent deren Auswirkungen auf das Privatleben verweigert, ist dann freilich oftmals eine andere Sache. Unterstellen wir jedoch einmal den Berlinern bei ihrer 1994 erschienenen Single nur die besten Absichten.

Im Grunde genommen lässt sich "Born To Die" als Bindeglied zwischen den 1993 und 1996 erschienenen ersten beiden Alben der Blind Passengers verstehen, bietet der Tonträger doch einen Remix des von "The Glamour Of Darkness" bereits bekannten "Yes, Sir!" und mit den beiden Versionen des Titelstücks bereits einen Vorgriff auf den später erschienenen Zweitling "Destroyka". Kann aber der "Hospital-Mix" des erstgenannten Stücks mit gesteigerter Aggressivität und pumpendem Rhythmus noch einige Qualitätspunkte zulegen, fiel die schlußendlich für das '96er-Album verwendete Version von "Born To Die" deutlich schwächer aus als der hier verwendete Edit und der über sechsminütige "Gen-Mix".

Mit dem wild vorwärtsstürmenden "Headache... (New Prosperity)" und dem Instrumental "Sarajevo", welches mit getragenen Synthie-Streicherklängen den damals noch tobenden Bosnien-Krieg thematisiert, werden netterweise noch zwei qualitativ hochwertige B-Seiten als Bonus dreingegeben, in Zeiten, in denen auch mal gerne auschließlich Remixe ein und desselben Stücks auf Maxi-CDs gepressst wurden, ein sehr fanfreundlicher Umstand! Alles in allem bekommt man etwa 22 Minuten im Stil der frühen Bandphase geboten, bevor sich die Herren um Nik Page deutlich härteren Klängen zuwandten.

Bewertung: 4 von 5

Mittwoch, 5. Januar 2011

Soundtrack Of My Life (024): David Bowie & Pat Metheny Group - This Is Not America (1985)

Die heutige Anekdote beinhaltet ein Missverständnis: Für einige Zeit ordnete ich die "This Is Not America" intonierende Stimme falsch zu und vermeinte Boy George und nicht David Bowie singen zu hören. Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass ich - für ein Kind der DDR logisch - niemals den Originaltonträger in die Finger bekam und den damaligen Welthit anno 1985 nicht im Radio, sondern in aufregenden Sommertagen an der polnischen Ostseeküste kennenlernte. Aber hübsch der Reihe nach.

Nach der Ausrufung des Kriegsrechts durch General Jaruzelski Ende 1981 kam man als DDR-Bürger nicht mehr einfach so nach Polen hinein. Die Oberen in Ost-Berlin wollten schon aus Eigenschutz verhindern, dass irgendwelche oppositionellen Gedanken á la Solidarność per Urlaubsverkehr ins Land sickerten. Allerdings war die Abschottung nicht vollständig, per Einladung aus Polen oder organisierter Tour konnte man durchaus noch die Grenze überschreiten. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass die damalige Firma, in der mein Vater arbeitete, im Austausch gegen eigene Kontingente in der DDR Ferienlagerplätze in der Nähe von Danzig organisiert hatte. Wow, 2 Wochen elternloses Ausland mit 13 Jahren und ich durfte dabeisein!

Treffpunkt Dresden Hauptbahnhof am frühen Nachmittag, ich sehe einige bekannte Gesichter aus einem Erzgebirgs-Camp des Jahres 1982 wieder, alle sind aufgrund der Reise, die bis zum darauffolgenden Morgen dauern wird, recht hibbelig. Und wie das als pubertierender Jüngling so ist - man schaut sich um und sondiert unter den mitreisenden Damen "die Marktlage". Ja, die wäre ja nett, oder die...wenn man nicht so verdammt schüchtern wäre!

Zwischenstop Berlin mit Besichtigung der Ost-Berliner Highlights Fernsehturm und Palast der Republik, inklusive Abendessen in "Erichs Lampenladen" - für ein sächsisches Provinzkind alles andere als eine normale Erfahrung. Der Trip ist schon in den ersten Stunden so neu, so aufregend, dass ich es kaum fassen kann.

Der Nachtzug nach Gdańsk, wie wir damals natürlich sagen, fährt etwa gegen 22 Uhr vom Bahnhof Berlin-Lichtenberg ab, wir sortieren uns irgendwie in unser Abteil ein, an Schlaf denkt schon aufgrund der Enge kaum jemand. Über Stettin, Köslin, Stolp und Gdingen kämpft sich der Zug entlang der Ostseeküste bis nach Danzig, welches wir - komplett übermüdet und zerschlagen - in den frühen Morgenstunden erreichen. Da sich das Ferienlager etwa 40 Kilometer außerhalb der Stadt befindet, werden wir in Busse verfrachtet und machen während der Fahrt durch die Straßen die Erfahrung, dass Danzig stellenweise sehr arm und heruntergekommen aussieht, was bei einem DDR-Einwohner, der auch nicht gerade in luxuriosen Verhältnissen residiert, schon einiges heißen will.

Die folgenden Tage vergehen wie im Fluge und mit einer Fülle von Ereignissen. Ob Besuche der Westerplatte, des Hafens oder einfach Abhängen am Strand - es ist traumhaft. Es wird wild durcheinandergeflirtet, die Sprachbarrieren zwischen anwesenden Polen, Tschechen und Deutschen werden irgendwie mit Händen und Füßen sowie dem von allen ungeliebten Schulrussisch überwunden. Ich ertrinke fast, als mich eine Welle umwirft und ich unter Wasser 20 Meter in Richtung Strand gespült werde, wo ich nach Luft japsend wieder auftauche, mir wird das richtige Küssen beigebracht (unter anderem abseits eines Lagerfeuers am nächtlichen Strand, zu dem wir mehrere Kilometer durch den stockfinsteren Wald gelaufen sind) und ich erlebe eine wilde Fummelnacht auf der Rückfahrt, als ein Liegewagenabteil im Zug mit Decken blickdicht gemacht und somit zum Liebesnest umfunktioniert wird.

All das und noch so einiges mehr wird immer wie von selbst in meiner Erinnerung abgerufen wenn die Zeilen "A little piece of you, the little peace in me, will die..." zu hören sind. Zwei Jahre später werde ich an diesen für mich magischen Ort zurückkehren und dort meine erste große Liebe erleben, natürlich begleitet von erinnernswerter Musik. Aber das ist eine andere Geschichte...