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Samstag, 19. Februar 2011

Soundtrack Of My Life (034): Abigail Mead & Nigel Goulding - Full Metal Jacket (1987)

In der 9. Klasse bekamen wir eine neue Musiklehrerin vor die Nase gesetzt. Diese peinigte uns sowohl mit der üblichen Propaganda-Tonkunst, von der mir ganz besonders Paul Dessaus an Arnold Schönberg und Alban Berg angelehntes und somit schwerverdauliches "Lilo Herrmann"-Melodram (lässt sich auf den üblichen Videoportalen nachhören) in peinigender Erinnerung geblieben ist. Allerdings wurde auch versucht, neben dem jetzt dankenswerterweise reduzierten Gesangsanteil (schließlich befand sich so mancher im Stimmbruch), den überwiegend gelangweilten Teenagern Klassik oder Jazz näherzubringen. Das fand man damals natürlich schrecklich öde, der interessierte Blick über den musikalischen Tellerand entwickelte sich bei mir erst deutlich später.

Ein- oder zweimal im Schuljahr wurde uns aber ein ganz besonderes Angebot angetragen. Wir sollten ganz einfach unsere favorisierte Musik anschleppen, diese wurde in einen Kassettenrecorder eingeworfen und danach lehrerseitig diskutiert. Freilich differierte da der männliche und weibliche Geschmack in der Schülerschaft erheblich. Wir halbstarken Jungs verleierten die Augen, wenn uns solche "Perlen" wie "Joe le Taxi" von Vanessa Paradis an den Kopf flogen und die holde Weiblichkeit konnte nix mit den Ärzten oder den Toten Hosen anfangen.

Mein Ehrgeiz bestand bei diesen Gelegenheiten immer darin, etwas mitzubringen, das garantiert keiner auf dem Plan hatte, unsere Lehrerin am Allerwenigsten. Persönliche Antipathie? Rache für "Lilo Herrmann"? Ich weiß es nicht mehr. So malträtierte ich die Klasse einmal mit "Galleons Of Stone" von The Art Of Noise und eines Tages rappelte es mich vollständig, als ich Abigail Meads und Nigel Gouldings "Full Metal Jacket" aus dem gleichnamigen Kubrick-Film (der in der DDR als "zu zynisch" verboten war) anschleppte. Ich hatte den Track, der mit seinen schrägen Tempiwechseln und dem eindringlichen Gebrüll des legendären R. Lee Ermey alles andere als mehrheitsfähig war, zwar seltsamerweise im ostdeutschen Radio ergattert, aber mit wilden Drums angereicherte Marching Chants des United States Marine Corps in einer sozialistischen Schule öffentlich aufzuführen, wirkt in der Rückschau dann doch etwas leichtsinnig-verrückt. Ein Glück, dass die Dame im zweiten Fach kein Englisch gab, sonst hätte das mit großem Ärger enden können...

Freitag, 18. Februar 2011

Soundtrack Of My Life (033): Gazebo - Lunatic (1983)

Wenn man, wie ich zu meinen Teenagerzeiten, nicht gerade mit einem überbordenden Ego gesegnet war, begriff man die ersten Gehversuche auf dem Terrain des Geschlechterkontakts vor allem als eines: Schauen, Schmachten, Starren und irgendwie auf Aufmerksamkeit hoffen. Für selbstbewusste Ansprachen fehlte dann ganz einfach das persönliche Rüstzeug, so dass man immer auf eine glückliche Gelegenheit oder eine wundersame Fügung des Schicksals wartete. Eine dafür gerne aufgesuchte Örtlichkeit war die hier zweimal jährlich stattfindende Kirmes, deren Attraktionen zu DDR-Zeiten sicherlich nicht so spektakulär waren wie jenseits der Mauer, deren Aufbau aber ähnlich daherkam. Das Jungvolk traf sich am Autoscooter oder einer ähnlichen zum Schaulaufen geeigneten Location, man ließ sich von der angesagten und in ohrenbetäubender Lautstärke durch die Boxen gejagten Musik unterhalten und verbrachte damit tagelang den Großteil seiner Freizeit.

Eine jener Wochen aus der Mitte der 80er wird mir aus mehreren Gründen unvergesslich bleiben. Nicht nur, dass ich erstmals hautnah Augenzeuge der Staatsmacht wurde, als zwei angetrunkene, aber relativ harmlose Pöbler von der heraneilenden Volkspolizei brutal niedergeknüppelt wurden, nein man übte sich auch tagelang in oben beschriebener Extremsportdiszplin und stellte neue Dauerrekorde im Stieren ohne Augenblinzeln auf, freilich ohne das das Objekt der Begierde überhaupt auf einen aufmerksam wurde. Ich weiß bis heute nicht mal ihren Namen.

Irgendwie arg durchgeknallt und damit perfekt zu einem damals sehr oft im Hintergrund laufenden Songs passend - "Lunatic" des Italo-Poppers Gazebo...

Dienstag, 15. Februar 2011

Soundtrack Of My Life (032): The Communards - Tomorrow (1987)

Der heute als Riesaer Stadthalle fungierende STERN war in meinen Jugendjahren ab etwa 1986 die erste aufgesuchte Ausgeh-Lokalität. Bereits für Teens ab 14 Jahren wurden solche Veranstaltungen unter dem Namen "Schüler-Diskothek" angeboten. Zeitrahmen: 16-20 Uhr, Alkohol und Einhaltung der eigentlich vorgeschriebenen 60/40-Regelung: Nope! Der Ablauf war jedesmal ähnlich, es gab immer irgendwelche "Runden", damit der Westcharts-Popfan ebenso auf seine Kosten kam wie Anhänger der Ärzte (wüste Spring- und Pogorunden, ich erinnere mich...) oder die dann immer zu wilden Luftgitarren-Performances auflaufenden Anhänger der metallenen Fraktion. Nicht selten kam es dabei vor, dass sich um die gerade die (aus Parkettboden bestehende) Tanzfläche belegenden Akteure ein interessierter Zuschauerkreis bildete, nicht selten eher belustigt als beeindruckt.

An einen ganz besonderers bizarren Auftritt entsinne ich mich noch sehr gut. Der Mitte der 80er die DDR-Kinos stürmende Hip Hop-Film "Beat Street" hatte auch in hiesigen Gefilden Anhänger des Breakdance rekrutiert, die den Leinwandvorbildern natürlich nachzueifern suchten. Nicht immer mit überzeugendem Ergebnis, dafür aber mit umso mehr Enthusiasmus. Allerdings schien sich einer jener Jünger, ein, nun ja, mit einem etwas weniger akrobatikgeeignetem BMI gesegneter und daher respektlos "Fatty, der STERN-Breaker" genannter Tänzer wenig um die dazu passende Musik zu scheren und wogte mit wilden Bewegungen zu allen Klängen, die ihn anzuregen schienen, übers Parkett. Warum er sich aber gerade für einen seiner spektakulärsten Auftritte, der ihm bei versuchten Powermoves wild wegspringende Hemdknöpfe und ein in alle Einzelteile zerlegtes Portemonnaie einbrachte, ausgerechnet das von Jimmy Somervilles Sirene intonierte "Tomorrow" der Communards aussuchte, wird wohl ewig sein Geheimnis bleiben...

Samstag, 12. Februar 2011

Soundtrack Of My Life (030): Culture Club - God Thank You Woman (1986)

Wie ich bereits an anderer Stelle einmal anmerkte, sah es im DDR-TV mit dem Abspielen offizieller Videoclips westlicher Bands bis zum Start des als letzten Rettungsversuchs gedachten Jugendprogramms "Elf 99" im Spätsommer 1989 eher düster aus. Im Radio pfiff man fröhlich auf alle Urheberrechte und jagte von sogenannten "Reisekadern" in West-Berlin besorgte Alben in Gänze über den Äther. So einfach waren bewegte Bilder freilich nicht zu bekommen, man behalf sich da lieber mit in Italien angekauften Promoauftritten der Top-Künstler bei den dortigen Musikfestivals von Sanremo und Saint-Vincent. So bekam ich eben "Stripped" von Depeche Mode, "The Wild Boys" von Duran Duran oder andere Acts statt der bei "Formel Eins" oder MTV laufenden Filmchen auf einer Bühne performt zu Gesicht - immerhin besser als nichts!

Nur ganz selten hatte man irgendwo ein "richtiges" Video ergattert, ich erinnere mich da an "The Jet Set" von Alphaville oder "Lovers In A Dangerous Time" von Bruce Cockburn. Ganz besonders ist mir aber ein anderer Clip in Erinnerung geblieben - "God Thank You Woman" von Culture Club aus dem Jahre 1986 - kurioserweise einer der erfolglosesten Songs der Band, der in seinem Erscheinungsjahr nicht einmal die deutschen oder amerikanischen Top100 erreichte und in Großbritannien auch gerade mal auf Position 31 landete. Dabei finde ich den Track mit seinem funky Rhythmus nach wie vor sehr knackig. Boy George, in diesem Fall vergleichsweise recht zurückhaltend gestylt (man vergleiche das einmal mit dem Video zu "The War Song"!), wackelt sich neben seinen Bandkollegen durch eine Studiokulisse, in die Filmsequenzen der Leinwandgöttinnen Claudia Cardinale, Brigitte Bardot, Sophia Loren und Britt Ekland einkopiert sind. Mehr 80er geht wirklich nicht...

Donnerstag, 10. Februar 2011

Soundtrack Of My Life (029): Bizz Nizz - Don't Miss The Partyline (1990)

Das Jahr 1990 wird mir immer als eines der verwirrendsten und ereignisreichsten meines Lebens in Erinnerung bleiben. Besonders die wenigen Monate zwischen Einführung der D-Mark in der DDR am 01. Juli bis zur Wiedervereinigung am 03. Oktober hatten etwas von völlig gesetzlosen Zuständen á la Wilder Westen. Kein Wunder, es galten noch die rechtlichen Regelungen der DDR, die für die tatsächlichen Umstände gar nicht vorgesehen waren und somit reichlich Spielraum für allerlei Anarchie und auch Kriminalität ließen.

Auch in der beschaulichen sächsischen Provinz tat sich diesbezüglich so einiges, darüber hinaus schossen überall behelfsmäßig errichtete Verkaufsstände und auch neue Partylocations aus dem Boden. Der in diesen Erinnerungen schon erwähnte "Dampfer" mutierte in jenen Tagen zum halb illegal bewirtschafteten Roulette-Casino, andere meiner vorher besuchten Wochenend-Ziele schlossen ganz. Dafür eröffnete ganz in der Nähe meiner Wohnung ein später zum Riesaer Großgastronomen (und mittlerweile wieder total abgestürztem) aufgestiegener, vorher völlig Unbekannter ein riesiges Zelt für Partyveranstaltungen. Aus heutiger Sicht geradezu absurd primitiv mit Holzbohlenboden bis zur die Tanzfläche bergende, Stirnseite, ein paar Bierzeltgarnituren am Tand - eine Luxus-Disse sieht anders aus! Trotzdem drängelten sich vor dem Einlass an allen Öffnungstagen die Massen, schon mangels alternativer Angebote in der Stadt.

Was diesem Tanztempel im IKEA-Style allerdings von seinen Vorgängern unterschied, war die zugegeben beeindruckende Licht- und Tonanlage, die sich doch erheblich von den größtenteils per Eigenbau entstandenen Ausrüstungen der DDR-Klitschen unterschied. In den Boden war sogar eine Edelstahl-Tanzfläche eingelassen und das war für uns Ossikinder nun wirklich etwas Neues, hatte man doch bis dato auf dem naturgegebenen Fliesen- oder Parkettboden der jeweiligen Lokalität abgehoppelt. Dieses Stück Metall brachte mich allerdings in einer lauen Sommernacht jenen Jahres in leichte Balanceschwierigkeiten, womit ich den Bogen zum Tanzflur-Stampfer "Don't Miss The Partyline" von Bizz Nizz schlagen kann.

In jenen Tagen war in hiesigen Breiten ein seltsamer Tanzstil aufgekommen, der eine Art schnellen Moonwalk auf der Stelle darstellte. Man joggte also in ruckartigen Bewegungen, ohne sich groß von seiner Position auf der Tanzfläche wegzubewegen. ich braucte eine Weile, bis ich mir das koordinationstechnisch draufgeschafft hatte, dann legte ich aber umso wilder los. Was ich an jenem Abend nicht sah: Irgendjemand hatte just dort eine Tube Haargel fallen gelassen (wer schleppt eigentlich sowas mit auf die Piste???), ich latschte in meinem Toben natürlich drauf und kleisterte meinen Standpunkt ordentlich mit dem perfekten Gleitmittel ein. Ich war so in Partylaune (und wohl alkoholtechnisch auch etwas angebrütet), dass ich das gar nicht mitbekam, mich allerdings über meine immer mehr in den Spagat drängenden Beine wunderte. Mein damaliger Freundeskreis stand freilich breit grinsend daneben und genoss sichtlich die etwas kurios anmutende One-Man-Show...

Samstag, 22. Januar 2011

Soundtrack Of My Life (026): Johnny Hates Jazz - Shattered Dreams (1987)

Die heutige Geschichte dreht sich eigentlich weniger um Musik, sondern um - Klamotten.

Bekanntlich kam man in der DDR zwar per Radio durchaus an die gängigen West-Hits, die zugehörigen Musikvideos bekam man aber höchst selten zu Gesicht. Im heimischen TV lief sowas praktisch gar nicht, mit viel Glück konnte man hier, hart am Rand des sogenannten "Tals der Ahnungslosen", mal halbwegs bildrauschfrei "Formel Eins" empfangen, oftmals blieb aber auch das nur Illusion. So kam es, dass ich den Clip des 87'er Hits von Johnny Hates Jazz erst mit einigen Jahren Verspätung so um das Jahr 1992/93 herum erstmals sah. Sänger Clark Datchler stiefelte darin, wenn er nicht mal gerade in schnieke End-Achtziger-Tapete gewandet war, in einer Art 20er Jahre Working Class-Outfit herum, das mir ausnehmend gut gefiel. Ich besorgte mir also umgehend ein paar Hosenträger (meiner Erinnerung nach ein paar hundsteure aus der CAMEL COLLECTION), ein weißes Hemd fand sich noch irgendwo im Schrank, dies mit ein paar Retro-Hosen und passenden Schuhen kombiniert und fertig war mein neuer Ausgehlook, gerne auch vervollständigt durch eine Schiebermütze, ein Familienerbstück. Das war wohl zwar alles andere als 90er Stil, aber mir war das wurscht.

In dieser Zeit pendelte mein Freundeskreis beim wochenendlichen "Pistengang" immer zwischen zwei weit auseinanderliegenden Clubs hin und her. Der eine lag praktisch vor der Haustür, der andere im etwa 150 Kilometer entfernten tschechischen Chomutov. Dort war es Anfang des Jahrzehnts natürlich spottbillig, wie quartierten uns für 14 DM/Nacht in einem Dreibettzimmer ein und waren selbst nach durchfeierter Nacht alles andere als pleite. Ein wenig musste man allerdings aufpassen, ob die dort herumtanzenden Damen rein privat oder aus "gewerblichen" Zwecken anwesend waren. Als mir beispielsweise in einer Freitagnacht die Luft in dem wohl halbillegalen und nicht viel mehr als wohnungsgroßen Etablissement doch zu schneidend wurde, trat ich auf die vorgelagerte Straße und wurde umgehend von zwei sichtlich aufgekratzten Vertreterinnen des Berufsstands angesprochen. Obwohl ich wenig Lust auf ungeplante Finanzausgaben verspürte, wurde mein "Shattered Dreams"-Gedächtnis-Hemd kurzerhand mit zahlreichen Lippenstift-Abdrücken dekoriert, ehe das Duo feixend weiter seines Weges zog. Ich war einfach zu perplex, um dagegen aufzumucken und bei der morgendlichen Inspektion des Kleidungsstücks wirkte das Kussmund-Muster schon wieder in irgendeiner Form cool.

Das wiederum brachte mich auf die verrückte Idee, das Teil in diesem Zustand am wieder in heimatlichen Gefilden verbrachten Samstagabend erneut anzuziehen. Verschwitzt, verraucht, nicht mehr taufrisch? Egal, ordentlich gelüftet und einparfümiert und es war wieder tragbar! Aus heutiger Sicht ist die ganze Geschichte zwar höchstgradig albern und spätpubertär, aber mit dem im Schwarzlicht odentlich hervorstechenden vollgeknutschten Hemd kam man sich in der Kleinstadtdisse wirklich vor wie die coolste Sau im Schweinestall... Danke, Clark!

Montag, 17. Januar 2011

CD-Rezensionen (214): Farin Urlaub Racing Team - Die Wahrheit übers Lügen (2008)

(Cover: Amazon.de)

Wie so viele meiner Altersgenossen, die ihre Jugend in der DDR der 80er Jahre verbracht haben, bin ich ein langjähriger Ärzte-Fan, der Trennung und Wiederbeginn mit verändertem Stil wohlwollend begleitet hat. Irgendwann kristallisierte sich dann heraus, dass mir persönlich die Songs aus der Feder Farin Urlaubs sowohl in textlicher als auch musikalischer Hinsicht am deutlichsten zusagten. Insofern erschien es mir gar nicht einmal unlogisch, dass ich großen Gefallen an den beiden Soloveröffentlichungen des Blondschopfs, dem bissig-frechen "Endlich Urlaub!" (2001) und dem viel nachdenklicheren "Am Ende der Sonne" (2005) fand. Somit lag sowohl die Messlatte als auch meine Erwartungshaltung sehr hoch, als, nunmehr auch im Studio offiziell von seiner vielköpfigen Livetruppe "Farin Urlaub Racing Team" unterstützt, der dritte Solo-Silberling in die heimischen Plattenbestände wanderte.

Und scheinbar fügte sich alles wie gehabt zusammen. Gleich mit dem ersten Track-Trio kann ich prima leben, selbst wenn der eine oder andere Melodieverlauf arg vertraut erscheint. Die Single-Auskoppplung "Nichimgriff" knüppelt fröhlich vor sich hin, "Unscharf" thematisiert einmal mehr die Vertracktheit zwischenmenschlicher Kommunikation und das mit ordentlich Bläsereinsatz angeschärfte "Gobi Todic" rast durch seinen vor lauter Absurditäten geradezu strotzenden Text. Das ist nicht immer die hehre Kunst, aber mir gefällt's!

Schwieriger wird es danach. Farin Urlaub ist ein eigenwilliger und hochintelligenter Kopf, dessen persönliche Ansichten sich nicht immer mit den meinen decken. Sei's drum, ich mag es nur nicht, wenn ich vor lauter erhobenem Zeigefinger nicht mehr zum Musikhören komme. Das war schon bei "Lieber Staat" auf seinem Solo-Debüt so und setzt sich hier mit "Seltsam" fort. Ja, Pelze sind scheiße, aber das konnte man auch schon mal deutlich unplatter formulieren, schließlich hat man es doch hier eigentlich mit einem Meister des Wortwitzes zu tun.

"Krieg" (herrjeh, "Bap-schuwadiwadi"-Chöre habe ich das letzte Mal anno 1974 bei "Sugar Baby Love" von den Rubettes gehört...) trägt textlich und musikalisch geradezu Helge Schneidersche Züge und da ich den Mülheimer Jazzgott sehr verehre, kann also auch dieser Track bei mir punkten, ganz im Gegensatz zu "Pakistan". Die Reiselust des Autoren mal zu thematisieren ist sicherlich keine schlechte Idee, aber dies geschieht auf mich wenig packende Weise, das Liedchen plätschert halt vor sich hin, ohne jemals so richtig die Kurve zu kriegen.

"Niemals" hätte sehr gut auf "Das Ende der Sonne" gepasst, erneut werden unerwiderte Gefühle auf markerschütternde Art und Weise beschrieben, eindeutig eins der Highlights des Albums und bei "Leiche" ist der alte Zyniker Urlaub ganz in seinem Element. Vor zwei Dekaden hätte das eventuell einmal mehr die Indizierungsbeauftragten auf den Plan gerufen, heute wirkt das wunderbar entspannt. Sehr gut! "Monster" ist textlich zwar wahnsinnig plakativ, aber die Frage sei erlaubt: Trifft die Beschreibung der deutschen Formatradiolandschaft nicht den Nagel auf den Kopf? Und nach dem wunderschönen Liebeslied "Atem" wird bei "Karten" nochmal ordentlich in die Saiten gegriffen, leider ist der Refrain nur ein Wiedergänger von "Unter Wasser".

Damit wäre die "Büffelherde" benamste Haupt-CD abgeschlossen und der Vier-Track-Mini "Ponyhof" darf zu seinen Ehren kommen. Musikalisch komplett konträr wird hier in Reggae- und Dancehall-Gefilden gewildert, "I.F.D.G." groovt da mitsamt seinen bissigen Zeilen derart relaxt durch die Boxen, dass sich gleich ordentlich gute Laune einstellt. "Zu heiss", "Insel" blubbern da aber deutlich schwächer und uninspirierter vor sich hin. Wer mit derlei Musik ohnehin nichts anfangen kann, wird sich freilich irritiert abwenden. Wenigstens darf mit "Trotzdem" noch mal im Affentempo die Ska-Sau durchs Dorf gehetzt werden, selbst wenn der Text zum zigsten Mal die "Loser dieser Welt, gebt nicht auf!"-Thematik beackert. Insgesamt ein eher durchwachsenen Bonus.

Ich gebe zu, dass der Urlaub-Drittling im Gegensatz zu meinen Vorläufern deutlich mehr Durchläufe benötigte, um bei mir zu punkten. Ich mache das eigentlich ungern, entweder es packt mich sofort oder eben auch nicht. Dennoch hat es sich in diesem Falle durchaus gelohnt, auch wenn die zweithöchste Wertung nur für die Haupt-CD allein gilt, im Verbund mit dem "Ponyhof"-Anhang wird die um einen Punkt tiefere gezückt.

Bewertung: 4 von 5

Mittwoch, 5. Januar 2011

Soundtrack Of My Life (024): David Bowie & Pat Metheny Group - This Is Not America (1985)

Die heutige Anekdote beinhaltet ein Missverständnis: Für einige Zeit ordnete ich die "This Is Not America" intonierende Stimme falsch zu und vermeinte Boy George und nicht David Bowie singen zu hören. Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass ich - für ein Kind der DDR logisch - niemals den Originaltonträger in die Finger bekam und den damaligen Welthit anno 1985 nicht im Radio, sondern in aufregenden Sommertagen an der polnischen Ostseeküste kennenlernte. Aber hübsch der Reihe nach.

Nach der Ausrufung des Kriegsrechts durch General Jaruzelski Ende 1981 kam man als DDR-Bürger nicht mehr einfach so nach Polen hinein. Die Oberen in Ost-Berlin wollten schon aus Eigenschutz verhindern, dass irgendwelche oppositionellen Gedanken á la Solidarność per Urlaubsverkehr ins Land sickerten. Allerdings war die Abschottung nicht vollständig, per Einladung aus Polen oder organisierter Tour konnte man durchaus noch die Grenze überschreiten. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass die damalige Firma, in der mein Vater arbeitete, im Austausch gegen eigene Kontingente in der DDR Ferienlagerplätze in der Nähe von Danzig organisiert hatte. Wow, 2 Wochen elternloses Ausland mit 13 Jahren und ich durfte dabeisein!

Treffpunkt Dresden Hauptbahnhof am frühen Nachmittag, ich sehe einige bekannte Gesichter aus einem Erzgebirgs-Camp des Jahres 1982 wieder, alle sind aufgrund der Reise, die bis zum darauffolgenden Morgen dauern wird, recht hibbelig. Und wie das als pubertierender Jüngling so ist - man schaut sich um und sondiert unter den mitreisenden Damen "die Marktlage". Ja, die wäre ja nett, oder die...wenn man nicht so verdammt schüchtern wäre!

Zwischenstop Berlin mit Besichtigung der Ost-Berliner Highlights Fernsehturm und Palast der Republik, inklusive Abendessen in "Erichs Lampenladen" - für ein sächsisches Provinzkind alles andere als eine normale Erfahrung. Der Trip ist schon in den ersten Stunden so neu, so aufregend, dass ich es kaum fassen kann.

Der Nachtzug nach Gdańsk, wie wir damals natürlich sagen, fährt etwa gegen 22 Uhr vom Bahnhof Berlin-Lichtenberg ab, wir sortieren uns irgendwie in unser Abteil ein, an Schlaf denkt schon aufgrund der Enge kaum jemand. Über Stettin, Köslin, Stolp und Gdingen kämpft sich der Zug entlang der Ostseeküste bis nach Danzig, welches wir - komplett übermüdet und zerschlagen - in den frühen Morgenstunden erreichen. Da sich das Ferienlager etwa 40 Kilometer außerhalb der Stadt befindet, werden wir in Busse verfrachtet und machen während der Fahrt durch die Straßen die Erfahrung, dass Danzig stellenweise sehr arm und heruntergekommen aussieht, was bei einem DDR-Einwohner, der auch nicht gerade in luxuriosen Verhältnissen residiert, schon einiges heißen will.

Die folgenden Tage vergehen wie im Fluge und mit einer Fülle von Ereignissen. Ob Besuche der Westerplatte, des Hafens oder einfach Abhängen am Strand - es ist traumhaft. Es wird wild durcheinandergeflirtet, die Sprachbarrieren zwischen anwesenden Polen, Tschechen und Deutschen werden irgendwie mit Händen und Füßen sowie dem von allen ungeliebten Schulrussisch überwunden. Ich ertrinke fast, als mich eine Welle umwirft und ich unter Wasser 20 Meter in Richtung Strand gespült werde, wo ich nach Luft japsend wieder auftauche, mir wird das richtige Küssen beigebracht (unter anderem abseits eines Lagerfeuers am nächtlichen Strand, zu dem wir mehrere Kilometer durch den stockfinsteren Wald gelaufen sind) und ich erlebe eine wilde Fummelnacht auf der Rückfahrt, als ein Liegewagenabteil im Zug mit Decken blickdicht gemacht und somit zum Liebesnest umfunktioniert wird.

All das und noch so einiges mehr wird immer wie von selbst in meiner Erinnerung abgerufen wenn die Zeilen "A little piece of you, the little peace in me, will die..." zu hören sind. Zwei Jahre später werde ich an diesen für mich magischen Ort zurückkehren und dort meine erste große Liebe erleben, natürlich begleitet von erinnernswerter Musik. Aber das ist eine andere Geschichte...

Donnerstag, 11. November 2010

Soundtrack Of My Life (022): Kim Wilde - The Second Time (1984)

Ich habe es in dieser Rubrik schon mehrfach erwähnt - als Jugendlicher in der DDR war man nicht eben gesegnet mit Originaltonträgern westlicher Bands und Solisten. Hatte man keine spendable Verwandschaft jenseits der Grenze oder schickte man nicht die reiseberechtigte eigene Oma zum Plattenkauf gen Westen, musste halt das rührige Jugendradio DT64 mit seinen zahlreichen Mitschnittsendungen oder auch das normale Tagesprogramm - welches auch dankenswerterweise die gespielten Songs ohne störendes Reingequatsche der Moderatoren sendete - herhalten. Um so etwas wie Copyright scherte man sich im Funkhaus in der Ostberliner Nalepastraße ohehin wenig bis gar nicht.

Irgendwann im Frühwinter 1984 hockte ich dann mit meinen knapp 13 Jahren auch erstmals bewußt vor dem Radiorecorder, stundenlang auf der Jagd nach Hits und seltenen Stücken. Ich kann mich sogar noch sehr genau an meine ersten Beutestücke jenes kalten Nachmittags erinnern, auch wenn die damals aufgenommene ORWO-Kassette schon längst den Weg alles Irdischen gegangen ist. Ein völlig wilder Stilmix kam da zusammen, "Some Guys Have All The Luck" von Rod Stewart, "Tea In The Sahara" von The Police, "Thank God It's Christmas" von Queen und "Nutbush City Limits" von Ike & Tina Turner. Den Höhepunkt dieses ersten bewußten Musikhörens stellte wohl aber ein absoluter New Wave/New Romantics-Heuler dar, das damals brandneue "The Second Time (Go For It)" der Britin Kim Wilde. Aus heutiger Sicht eine recht schräge Nummer mit all seinen Staccato-Klängen, Miss Wildes dünnem Stimmchen und den fräsendem Synthie-Geplärr. Trotzdem: Schon aus nostalgischen Aufwallungen eine von mir immer wieder gern herausgekramte Nummer.

PS: Über meine damalige lautmalerische Niederschrift der Songtitel im Kassetten-Inlay decken wir an dieser Stelle mal besser den großen dunklen Mantel des Schweigens. Zur Entschuldigung: Mein Englischunterricht in der Schule hatte erst ein Vierteljahr zuvor begonnen...

Dienstag, 21. September 2010

Buch-Rezensionen (201): Gerhard und Christiane Vogel - Blase und Bläschen (1963)

(Cover: Amazon.de)

Für mich war es immer ein Festtag, bei meinen Besuchen meiner Großeltern in den Kinderbüchern meines Vaters und seiner jüngeren Geschwister zu stöbern. Somit fielen mir ein ums andere Mal Erscheinungen aus den frühen 60er Jahren in die Hände, die man heute als Erwachsener als interessante Zeitdokumente der DDR jener Jahre lesen kann, so auch dieses 1963 erschienene Kinderbuch des Schriftstellerehepaars Gerhard und Christiane Vogel.

Erzählt wird die Geschichte der beiden befreundeten Zweitklässler Udo und Werner alias Blase und Bläschen. Diese leben in einem für die Jahre kurz nach der Zwangskollektivierung typischen Dorf der DDR und vertreiben sich die Zeit mit frechen Streichen. In den normalen Alltag platzt im April 1961 die Nachricht über Juri Gagarins ersten Weltraumflug. Der großsprecherische Blase ist sofort Feuer und Flamme und will selbstverständlich auch Kosmonaut werden. Doch erst einmal muss er seinen skeptischen Freund von der Notwendigkeit seiner außergewöhnlichen Trainingsmethoden überzeugen...

Die Euphorie, die gerade den Ostblock nach Gagarins Flug erfasste, kann man heute kaum noch nachvollziehen, ansatzweise ist sie aber in diesem Buch zu erahnen. Somit vermengen sich hier Kinderstreiche nach Art der Lausbubengeschichten mit realem geschichtlichen Hintergrund. Ein gewisser moralischer Zeigefinger ist dabei jederzeit zu bemerken, denn das sozialistische Erziehungsideal wirkt selbstverständlich umgehend auf alle Aktivitäten der beiden Neunjährigen ein. Dies wirkt aus heutiger Sicht etwas fremd, ebenso wie Begriffe und Einrichtungen, die schon zu meiner Kinderzeit - etwa 15 Jahre später - überholt waren, wie die Maschinen- bzw. Reparaturtechnischen Stationen (MTS und RTS) auf dem Land. Auch die im Buch noch zahlreich vorkommenden Maikäfer dürfte heutzutage nur noch selten jemand zu Gesicht bekommen.

Dies alles sollte man bei der Lektüre im Hinterkopf behalten, was aber nicht davon abhalten kann, dass "Blase und Bläschen" auch noch nach fast fünf Jahrzehnten zu unterhalten weiß. 1968 erschien mit "Feuer, Wasser und Wolkenbruch" eine weitere Geschichte um die beiden Jungen.

Bewertung: 4 von 5

Freitag, 17. September 2010

Soundtrack Of My Life (020): Dan the Banjo Man - Dan the Banjo Man (1974)

Wenn ich auf die musikalische Begleitung meines bisherigen Lebens zurückschaue, muss ich das in zwei Zeitabschnitte einteilen. Der meine Kindheit prägende Sound der 70er speiste sich hauptsächlich aus im Hintergrund laufender Beschallung aus dem Radio, natürlich ohne zu wissen, wer da genau was singt. Richtig zielgerichtet mit Musik auseinandergesetzt - was mangels in der DDR käuflich zu erwerbender Tonträger gleichbedeutend war mit ganzen Nachmittagen bzw. Nächten am Aufnahmegerät verbrachten "Jagdsessions" - habe ich mich erst um das Jahr 1983.

So ist es bis auf die ganz großen Hits von ABBA & Co. im Nachhinein recht schwer, die mich vor diesem Zeitpunkt prägenden Songs zu rekonstruieren, hat man doch oftmals nicht mehr als eine Melodie in seiner Erinnerung, keine Bilder, keinen Text. Über ein ganz vertracktes Beispiel zerbrach ich mir jahrelang den Kopf. In meinen ersten Monaten im Internet machte ich die Erfahrung, dass es scheinbar für jedes Wissensproblem einen entsprechenden Online-Experten gibt. So auch bei der Suche nach in der Erinnerung hängengebliebenen Songs. Die Frage "Wie heißt das und wer singt es?" war oftmals mit ein paar rudimentär hervorgekramten Textfragmenten von irgend jemandem zu beantworten. Das Problem aber in meinem Fall: Wie beschreibt man ein Instrumentalstück?

Ich stellte die Frage mit einer vagen Beschreibung der Melodie und der Instrumentierung in mehreren Musikforen, ohne jemals das richtige Ergebnis zu erreichen. Die Lösung kam wie so oft durch einen absoluten Zufall. An einem langweiligen TV-Abend mit der an und für sich unsäglichen "ultimativen Chartshow" des Senders RTL zum Thema "One Hit Wonder" glaubte ich meinen Ohren nicht zu trauen. Da war es! Da war es! Insgesamt eine absurde Situation: ein mit "Dan the Banjo Man" obskurer Bandname, dazu ein gleichnamiger Song und als Krönung das Jahr. 1974, da war ich knapp drei und konnte mich an dieses Lied erinnern???

Mittwoch, 15. September 2010

CD-Rezensionen (200): Die Ärzte - Die Ärzte (1986)

(Cover: Amazon.de)

Nach dem Rausschmiss ihres Bassisten Sahnie zum Duo geschrumpft, reduzierten Bela B. und Farin Urlaub alias Die Ärzte aus Berlin (aus Berlin!) den Titel ihres dritten Longplayers auf den Bandnamen - eigentlich ein damaliges Stilmittel für Debütalben - wohl auch, um einen Neuanfang zu symbolisieren. Dazu passen die von Starfotograf Jim Rakete recht düster gehaltenen Fotos auf Cover und im Booklet ebenso wie die eher morbide Grundausrichtung der gesamten Platte. Ob Liebeskummer, Vampire oder eher abgründige Seiten der Sexualität - hier war für alles gesorgt, so gründlich, dass sich auch wieder einmal die den Ärzten in herzlicher Abneigung verbundene Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ins Geschehen einschaltete und den gesamten Tonträger aufgrund des Tracks "Geschwisterliebe" kurzerhand (wie schon beim Vor-Vorgänger "Debil" geschehen) auf den Index setzte.

Musikalisch geben sich die Herren B. und Urlaub wieder einmal die Klinke in die Hand und greifen bei den jeweils geschriebenen Titeln höchstselbst zum Mikrofon (B:: viermal, Urlaub: inklusive des mäßigen Coversongs "Jenseits von Eden" siebenmal), wobei der lange Blondschopf hauptsächlich für den drastisch-bissigen Teil und der damals als Paradewaver auftretende Bela für die dunkle Romantik verantwortlich zeichnet. Mir persönlich haben schon immer die Urlaub'schen Ergüsse mehr gelegen, so auch hier. Die Ärzte bildeten damals ohnehin den perfekten Soundtrack zu einer Jugend (auch, wie in meinem Falle, in der DDR) und demzufolge griff man bei erstem Liebeskummer zielgerichtet zu "Wie am ersten Tag" (der bekennende Beatles-Fan Urlaub bediente sich hier hörbar bei "Don't Bother Me" vom "With The Beatles"-Album) oder "Für immer", ohne bei Letzterem freilich die auslegbare Zweideutigkeit zu begreifen, eine Fähigkeit, die Farin Urlaub bis zur Meisterschaft perfektionierte. Geht man beispielsweise den textlichen Weg von "Zum letzten Mal" zu Ende, landet man gleich beim nächsten Indexkandidaten...

Natürlich ist dies alles schwer mit den heutigen Ärzten zu vergleichen, geradezu schlagermäßig und soft wirken die typischen 80er-Songs im Kontext zum aktuellen Gitarrengeknüppel der Kapelle. Trotzdem sind sich die Herren Doktoren bekanntlich nicht zu schade, das eine oder andere Frühwerk gelegentlich live zum Besten zu geben. Eine äußerst begrüßenswerte Haltung, die sich fürwahr nicht jede altgediente Band zu eigen macht. Aber Selbstironie war schon immer eine ganz große Stärke der Berliner.

"Die Ärzte" ist vielleicht nicht das beste Album aus der Frühphase der Truppe, enthält aber allerhand zu Klassikern avancierte Songs, wie das das Bandmaskottchen einführende "Sweet Sweet Gwendoline", das wohl auch heutigen Emos zusagende "Mysteryland" oder die mich immer noch zu Tränen rührende Nummer "Für immer". Ein deutscher Klassiker!

Bewertung: 4 von 5

Montag, 13. September 2010

Bärbel Bohley & Claude Chabrol †

(Foto: faz.net)

Durch den ganzen Studiumstrubel der letzten Tage muss ich an dieser Stelle noch zwei Todesfälle nachtragen. Dies betrifft zum einen die DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, die erst in den Wendetagen als Mitinitiatorin des "Neuen Forums" in meinen persönlichen Focus rückte. Wenn man das Anliegen der damaligen Aktivisten mit den dann tatsächlich erfolgten geschichtlichen Entwicklungen vergleicht, kann man schon verstehen, dass Frau Bohley sich aus der Öffentlichkeit zurückzog und sich unter anderem auf dem Balkan engagierte. Am 11.09. ist die Malerin im Alter von 65 Jahren einem Lungenkrebsleiden erlegen.

(Foto: SPIEGEL.de)

Einen Tag später verstarb im Alter von 80 Jahren einer der wohl wichtigsten europäischen Regisseure der letzten Jahrzehnte und einflussreiche Vertreter der Nouvelle Vague, der Franzose Claude Chabrol. Ich müsste mal wieder ein wenig in den alten Filmen kramen...

Mittwoch, 25. August 2010

Soundtrack Of My Life (019): Herman van Veen - Und er geht und er singt (1983)

Der Zusammenbruch der DDR hatte auch auf mein Berufsleben einige Auswirkungen. Ich steckte damals noch mitten in meiner Lehre zum Elektronikfacharbeiter mit Abitur und aus der im letzten Lehrjahr angedachten praktischen Ausbildung in meinem lokalen Einstellungsbetrieb wurde ein mangels vorhandener Arbeit tage- und wochenlanges Rumgammeln. In diesem chaotischen Zeitraum der Jahre 1990/91 wurde auch die firmeneigene Bibliothek aufgelöst und die vorhandenen Bestände für eine symbolische DM pro Stück verschleudert. So hatten wir drei damals noch Lehrlinge genannte Azubis mangels anderer Tätigkeit ausgiebigst Gelegenheit, in den Büchern, Zeitschriften und Tonträgern zu stöbern und so manche früher im freien Handel nicht erhältliche Rarität für einen Spottpreis zu abzuschleppen.

Mein damaliger Internatszimmergenosse, heutiger Arbeitskollege und immer noch bester Freund J. hatte anscheinend den Kapitalismus am schnellsten begriffen und deckte sich vor allem mit ganzen Stapeln von Lizenzausgaben westlicher Schallplatten ein. Sonderlich wählerisch ging er dabei nicht zu Werke. Ob Schlager oder Uralt-Rock ’n’ Roll-Heuler - immer her damit! Auf meine verständnislose Frage "Was willste denn mit all dem Scheiß?" erntete ich nur ein wissendes Lächeln. Keine Woche später eröffnete mein umtriebiger Mitbewohner in unserem Lehrlingswohnheim in Radeberg eine ganz private Plattenbörse. Mit ordentlichem Aufpreis versehen, gingen die besten Stücke ruck-zuck weg, Ladenhüter schmälerten den Gewinn nur unerheblich.

Der unverkäufliche Rest wurde in vielen gemeinsam durchgefeierten Stunden im privaten Kreis genossen und so kam mir in einer wohl doch sehr sentimentalen Nacht "Und er geht und er singt" des auch im Osten hochgeschätzten und mehrfach gastierenden Niederländers Herman van Veen unter die Finger. Wenn zwei junge Männer das fast in Endlosschleife hören und sich anschließend halb heulend in den Armen liegen, muss das wohl etwas ganz Besonderes anrühren und in sehr emotionalen Momenten krame ich den Song heute noch hervor. Danke Mijnheer van Veen für diese Erfahrung...

Dienstag, 24. August 2010

Lothar Loewe †

(Foto: Wikipedia)

Auch wenn die Ausweisung des ehemaligen Ost-Berliner ARD-Korrespondenten Lothar Loewe durch die DDR-Oberen nach einem kritischen Tagesschau-Kommentar zum Grenzregime 1976 etwas vor meiner aktiven Fernsehzeit lag, habe ich später immer mal wiederholte Reportagen mit großem Interesse verfolgt. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, drehte er sogar einmal in meiner Heimatstadt. Ein sehr bewegtes Journalistenleben ist gestern im Alter von 81 Jahren zu Ende gegangen. R.I.P.

Montag, 23. August 2010

DVD-Rezensionen (198): Der Maulwurf als Filmstar (1987-1988)

(Cover: Amazon.de)

An und für sich ist gegen diese DVD mit dem liebenswerten Racker aus unserem Nachbarland nichts einzuwenden. Liebevoll gezeichnet wie immer, gewaltfrei und mit so manchem Aha-Effekt für Kinder versehen. Der Knackpunkt liegt eher in der Zusammenstellung dieser Scheibe. Im Gegensatz zu den auf den meisten anderen Ausgaben dieser Edition vertretenen 5 bis 14 Minuten langen Episoden hat man es hier mit zwei etwas weniger bekannten Halbstündern aus den Jahren 1987 (Der Maulwurf und Medizin) und 1988 (Der Maulwurf als Filmstar) zu tun. Da die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspanne von Kindern bekanntlich begrenzt ist, sollte man daher diese doch recht langen Brocken nicht gerade den Kleinsten vorführen.

Inhaltlich gibt es nix zu meckern. Der hilfsbereite Maulwurf sucht in einer Episode eine Medizin für die erkrankte Maus und muss dafür eine abenteuerliche und sehr lehrreiche Reise um die Welt unternehmen. In anderer Geschichte bekommt es der kleine Wühler mit den Schattenseiten des Ruhms als Filmstar zu tun. Auch das vielleicht für die Jüngsten etwas kompliziert zu begreifen.

Die Bildqualität ist nicht sonderlich gut und keineswegs mit heutigen Hochglanzproduktionen zu vergleichen. Immerhin verfügen die im unrestaurierten Bildformat 4:3 vorliegenden Episoden über das Tonformat Dolby Digital 2.0, Bonusmaterial fehlt hingegen völlig. Für Sammler sicherlich ein Grund zuzuschlagen, wer dem Nachwuchs jedoch erst einmal die Figur nahebringen will, sollte zu anderen DVDs wie beispielsweise "Der kleine Maulwurf und seine Abenteuer mit dem Igel" aus der gleichen Reihe greifen.

Bewertung: 4 von 5

Mittwoch, 18. August 2010

Buch-Rezensionen (197): Jochen Hauser - Zwei Krähen fliegen aus (1979)

(Cover: Amazon.de)

Wie man ein an für sich ernstes Sujet humorvoll und augenzwinkernd darstellen kann, zeigt dieses 1979 erschienene Kinderbuch des sächsischen Autors Jochen Hauser. Thematisiert werden die Probleme alleinerziehender Eltern und deren Kinder im Alltag der DDR, immer beobachtet von den beiden verfressenen Krähen Kratsch und Kretsch.

Der neunjährige Jens und sein nach einem Verkehrsunfall verwitweter Vater ziehen in eine Kleinstadt nahe eines Braunkohletagebaus. Gleich am Tag seiner Ankunft gerät Jens mit dem gleichaltrigen Martin aneinander, der sich ausgerechnet noch als Mitschüler entpuppt. Beide Drittklässler bemühen sich um die Freundschaft zur aufgeweckten Mia, was die Rivalität nur noch verstärkt. Nach Monaten voller Gehässigkeiten und Missgunst platzt die Bombe - Jens' Vater und Martins geschiedene Mutter haben sich ineinander verliebt und schmieden Zukunftspläne. Das ist zu viel, beide Jungen reißen unabhängig voneinander von zu Hause aus. Doch die clevere Mia lockt sie auf dieselbe Insel...

Die DDR-typische Altersempfehlung des Buchs nennt die gleiche Jahreszahl wie das Alter der Protagonisten. Neunjährige dürfen sich also sowohl an einer kindgerechten Geschichte als auch an den tollen Illustrationen von Harri Parschau erfreuen. Der ernste Hintergrund wird wohl nur eher Erwachsenen auffallen, so dass ich mit Erstaunen feststellen konnte, nach so vielen Jahren immer noch deutliches Gefallen und Interesse an diesem Buch gefunden zu haben, auch wenn man ihm freilich den Entstehungszeitpunkt und -ort deutlich anmerkt. Dennoch: Unterhaltung für jung und alt - eine feine Mischung!

Bewertung: 4 von 5

Donnerstag, 12. August 2010

Buch-Rezensionen (196): Wolfgang Held - ...auch ohne Gold und Lorbeerkranz (1983)

(Cover: Amazon.de)

Nach einem schweren gesundheitlichen Schicksalsschlag wieder in das normale Leben zurückzufinden, dürfte zu den härtesten Prüfungen zählen, die einem Menschen auferlegt werden können. Schlimmer noch, wenn davon Kinder und Jugendliche getroffen werden. Von einem solchen Kampf um wieder zu erlangende Normalität erzählt dieses 1983 in der DDR erschienene Jugendbuch des Thüringer Autors Wolfgang Held.

Der zwölfjährige Sebastian, ein vielversprechender Nachwuchsturner, verliert bei einem Verkehrsunfall einen Teil seines linken Fußes. Mit diesem körperlichen Handicap scheint es unmöglich zu sein, den geliebten und bisher den Lebensmittelpunkt bildenden Sport weiter auszuüben. Denn auch wenn sein Trainer und die Freunde Koni, Eule, Heinz und Steffen aus seiner "Die Musketiere" genannten Turnriege an ihn glauben - wie soll er mit Schmerzen und einem halben Fuß die Anforderungen des Leistungssports erfüllen? Zumal ihn der erfolgssüchtige Sektionsleiter Waldemann aus dem Verein drängen will...

Auch wenn sich die fiktive "BSG Elektron Tannenthal" aufgrund ihrer Eigenschaft als sogenannte Betriebssportgemeinschaft nur auf einer unteren Hierarchiestufe des DDR-Sportsystems befindet, bekommt man in diesem Buch dennoch einen rechts guten Einblick in das Förder- und Leistungssystem des untergegangenen Staates. Der Unsympath Waldemann steht dabei symptomatisch für die verknöcherte Sportfunktionärskaste, denen für den auf die eigene Person abstrahlenden Erfolg kein Mittel und keine Intrige zu schade ist. Und auch wenn die sehr einfühlsam geschriebene Geschichte Sebastians im Vordergrund steht, kann man dennoch die knallharten Ausmaße des landestypischen Selektionsprinzips erahnen.

Ein gewisses Hintergrundwissen erleichtert die Lektüre des Buchs, muss man sich doch mit DDR-typischen Wortschöpfungen wie "Rollbrett" als Synonym für Skateboard auseinandersetzen. Die damals herausgegebene Altersempfehlung beträgt 12 Jahre, Leser dieses Jahrgangs dürften sich aber aufgrund des ihnen sehr fremden Szenarios und des für heutige Verhältnisse gemächlichen Erzähltempos langweilen. Daher aufgrund der gegebenen Einsichten in den ostdeutschen Alltag eher ein Lesetip für Erwachsene aus Ost und West.

Bewertung: 4 von 5

Montag, 9. August 2010

Buch-Rezensionen (195): Suleikas Hochzeitsgeschenk (1967)

(Cover: Amazon.de)

Nachdruckband sieben der Ritter Runkel-Serie enthält wiederum sechs Hefte des Mosaiks von Hannes Hegen aus dem originalen Veröffentlichungszeitraum Juli bis Dezember 1967, historisch betrachtet wirklich hochdramatischen Monaten. Während also in der realen Welt praktisch täglich Geschichte geschrieben wurde, befindet man sich in der Welt der Digedags immer noch im ausgehenden 13. Jahrhundert.

Dig, Dag und Runkel haben mittlerweile das Gebiet erreicht, in dem Runkels Vater vor vielen Jahren einen legendären Schatz versteckt zurücklassen musste. Das Gebiet wird von einem Emir beherrscht, der Vater und Schwiegervater von guten alten Bekannten des Trios ist - Suleika und ihr Mann Janos Koloda. Runkel eckt mit seiner plumpen und tollpatschigen Art ein ums andere Mal beim sittenstrengen Herrscher an, der aufgrund einer seit Jahrhunderten geführten Familienchronik so einige Märchen der Rübensteinschen Familiengeschichtsschreibung entlarvt. Aber Runkel ist von seinen Schatzsucherplänen nicht abzubringen...

Die erste Hälfte dieses Sammelbands widmet sich der Schatzsuche in Kleinasien, mit interessanten Rückblicken in die Zeit um 1205, in der Dig und Dags verschollener Gefährte Digedag höchstselbst eigene Erlebnisse in die Chronik der Burg Neurübenstein einträgt. Die zweiten drei Hefte begleiten die Abenteurer auf ihrer Weiterreise am Euphrat, in dem sie es mit kriegerischen Mongolen, dem Scheich von Basra und drei Alchemisten-Scharlatanen zu tun bekommen. Und auch auf diesem Abschnitt der Reise hat Digedag seine Spuren hinterlassen. Das Finale gipfelt in einer turbulenten Geschichte im Harem von Basra, Verfolgungsjagden und Kissenschlachten inklusive.

In dieser Ausgabe geht es wahrlich quirlig zu, es passiert praktisch nonstop etwas Aufregendes. Selbst die Geschichtsrückblicke sind für das Verständnis der Handlung informativ, wird dort doch beispielsweise der Ursprung der Fehde zwischen den Geschlechtern derer von Rübenstein und Kuckucksberg erklärt. Trotzdem ist das Szenario stellenweise sehr düster, sowohl die kriegerischen Mongolen als auch der die durch viele Kämpfe heruntergekommene Stadt Basra beherrschende Scheich sind aller Komik zum Trotz recht finstere Gesellen. Aber nach dem stellenweise recht langatmigen sechsten Band der Nachdrucke ist dieser Nachfolger aufgrund seiner einzigartigen Mischung aus Spannung und Bildung wieder vorbehaltlos zu empfehlen!

Bewertung: 5 von 5

Donnerstag, 22. Juli 2010

Buch-Rezensionen (192): Gunter Preuß - Tschomolungma (1981)

(Cover: Amazon.de)

Ich erinnere mich, dass mich das Lesen dieses Buchs immer etwas deprimiert und ratlos zurückgelassen hat. Denn Gunter Preuß, der mit seiner kritischen Haltung zur DDR ein ums andere Mal bei den Kulturgewaltigen aneckte, zeichnet in diesem 1981 erschienenen Jugendbuch in recht düsteren Farben die Probleme zweier heranwachsender Leidensgenossen.

Schauplatz der Handlung ist eine namenlose erzgebirgische Kleinstadt. Der sensible vierzehnjährige Peter, ehemals bester Schüler der Schule, steckt in einer tiefen Lebens- und Sinnkrise. Gemobbt von den Mitschülern, unverstanden vom Vater, einem Sägewerksarbeiter, der in seiner Freizeit Gewichte hebt, flüchtet er in seine Traumwelt, in der er den höchsten Berg der Erde, den Tschomolungma, besser bekannt als Mount Everest, besteigt. Peter zerbricht fast an der Erwartung seines Vaters, dass aus ihm ein "richtiger Kerl" wird, seine schulischen Leistungen sind im Keller, insbesondere als seine fast einzige Vertraute, die Klassenlehrerin Frau Weinhold, in Pension geht. Peter verzweifelt am Leben und findet nur in seinem Freund Rutscher und seiner Mitschülerin Rose etwas Halt. Doch die sitzt nach einem Verkehrsunfall im Rollstuhl und sieht gerade die Ehe ihrer Eltern zerbrechen. Als Rose entdeckt, dass sie wieder laufen kann, beschließt sie, diese Neuigkeit für sich zu behalten, um ihre Eltern an sich zu binden...

Auch wenn sich am Ende des Buches so etwas wie ein kleiner Hoffnungsschimmer für Peter und Rose auftut - ein Happy End sieht anders aus. Mit dem Abstand der Jahre habe ich das eine oder andere Problem eines pubertierenden Jungen anhand eigener Erfahrungen durchaus wiedererkannt, daher hat mir der erneute Lesedurchgang nach über 20 Jahren sehr zugesagt. Obwohl das Buch eine Altersempfehlung ab 12 Jahren angibt, dürften auch Erwachsene und insbesondere Eltern von Jugendlichen Gefallen daran finden. Gleichzeitig wird der typische DDR-Kleinstadtalltag ohne großen ideologischen Hintergrund skizziert und selbst die Hochkultur kommt nicht zu kurz, da ausgiebig aus Brechts "Leben des Galilei" zitiert wird. Ein wenig optimistisches, aber sehr empfehlenswertes Buch.

Bewertung: 5 von 5