Mittwoch, 15. September 2010

CD-Rezensionen (200): Die Ärzte - Die Ärzte (1986)

(Cover: Amazon.de)

Nach dem Rausschmiss ihres Bassisten Sahnie zum Duo geschrumpft, reduzierten Bela B. und Farin Urlaub alias Die Ärzte aus Berlin (aus Berlin!) den Titel ihres dritten Longplayers auf den Bandnamen - eigentlich ein damaliges Stilmittel für Debütalben - wohl auch, um einen Neuanfang zu symbolisieren. Dazu passen die von Starfotograf Jim Rakete recht düster gehaltenen Fotos auf Cover und im Booklet ebenso wie die eher morbide Grundausrichtung der gesamten Platte. Ob Liebeskummer, Vampire oder eher abgründige Seiten der Sexualität - hier war für alles gesorgt, so gründlich, dass sich auch wieder einmal die den Ärzten in herzlicher Abneigung verbundene Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ins Geschehen einschaltete und den gesamten Tonträger aufgrund des Tracks "Geschwisterliebe" kurzerhand (wie schon beim Vor-Vorgänger "Debil" geschehen) auf den Index setzte.

Musikalisch geben sich die Herren B. und Urlaub wieder einmal die Klinke in die Hand und greifen bei den jeweils geschriebenen Titeln höchstselbst zum Mikrofon (B:: viermal, Urlaub: inklusive des mäßigen Coversongs "Jenseits von Eden" siebenmal), wobei der lange Blondschopf hauptsächlich für den drastisch-bissigen Teil und der damals als Paradewaver auftretende Bela für die dunkle Romantik verantwortlich zeichnet. Mir persönlich haben schon immer die Urlaub'schen Ergüsse mehr gelegen, so auch hier. Die Ärzte bildeten damals ohnehin den perfekten Soundtrack zu einer Jugend (auch, wie in meinem Falle, in der DDR) und demzufolge griff man bei erstem Liebeskummer zielgerichtet zu "Wie am ersten Tag" (der bekennende Beatles-Fan Urlaub bediente sich hier hörbar bei "Don't Bother Me" vom "With The Beatles"-Album) oder "Für immer", ohne bei Letzterem freilich die auslegbare Zweideutigkeit zu begreifen, eine Fähigkeit, die Farin Urlaub bis zur Meisterschaft perfektionierte. Geht man beispielsweise den textlichen Weg von "Zum letzten Mal" zu Ende, landet man gleich beim nächsten Indexkandidaten...

Natürlich ist dies alles schwer mit den heutigen Ärzten zu vergleichen, geradezu schlagermäßig und soft wirken die typischen 80er-Songs im Kontext zum aktuellen Gitarrengeknüppel der Kapelle. Trotzdem sind sich die Herren Doktoren bekanntlich nicht zu schade, das eine oder andere Frühwerk gelegentlich live zum Besten zu geben. Eine äußerst begrüßenswerte Haltung, die sich fürwahr nicht jede altgediente Band zu eigen macht. Aber Selbstironie war schon immer eine ganz große Stärke der Berliner.

"Die Ärzte" ist vielleicht nicht das beste Album aus der Frühphase der Truppe, enthält aber allerhand zu Klassikern avancierte Songs, wie das das Bandmaskottchen einführende "Sweet Sweet Gwendoline", das wohl auch heutigen Emos zusagende "Mysteryland" oder die mich immer noch zu Tränen rührende Nummer "Für immer". Ein deutscher Klassiker!

Bewertung: 4 von 5