Montag, 20. September 2010

DVD-Rezensionen (201): EM-Klassikersammlung, Ausgabe 01 - Viertelfinale (Hinspiel) 1972 England - BR Deutschland (1:3) (2008)

(Cover: Amazon.de)

Analog zu der zwei Jahre zuvor erschienen WM-Klassikersammlung veröffentlichte die "BILD am Sonntag" zusammen mit dem Sammelserien-Spezialisten DeAgostini im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft 2008 eine 40 Ausgaben umfassende Reihe, die große Partien der deutschen Elf bei europäischen Turnieren sowie einige Klassiker ohne deutsche Beteiligung in nicht-chronologischer Reihenfolge enthielt. Allen Scheiben war ein Begleitheft mit weiterführenden Informationen über Vorgeschichte, Hintergründe sowie statistischen Elementen wie Aufstellungen etc. beigefügt.

Der Auftakt der Edition enthält eines der legendenumwobensten Länderspiele der deutschen Fußball-Geschichte. Glücklicherweise räumt das Begleitheft mit so manchem Mythos auf, denn entgegen der existierenden landläufigen Meinung spielte man den Gegner eben nicht an die Wand, wovon weite Teile der zweiten Halbzeit mit wild anstürmenden Engländern zeugen. Dennoch wohnt man einem der besten Partien der DFB-Auswahl bei, nicht umsonst wurde die 72er-Mannschaft, die später auch den Europameistertitel holen sollte, als bestes deutsches Team aller Zeiten bejubelt. Auch wenn solche Vergleiche angesichts der permanenten Weiterentwicklung des Sports freilich hinken - es ist durchaus etwas dran!

Zunächst die bemerkenswerten Fakten: Der erste Sieg in Wembley gegen zu diesem Zeitpunkt seit sieben Jahren auf heimischen Boden ungeschlagene Engländer hat sicherlich eine historische Würdigung verdient. Dazu Günter Netzers bestes Spiel im (hier einmal grünen) Nationaltrikot, Uli Hoeneß und Paul Breitner als jeweils 20jährige Jungspunde oder der damals in der Regionalliga spielende Siggi Held als zweimaliger Tor-Vorbereiter. Trotzdem: sicher war der Sieg trotz der langen Führung nicht. Dem Strafstoß zum 2:1 ging beispielsweise eine krasse Fehlentscheidung des französischen Schiedsrichters Robert Héliès voraus. Zwar wurde Held offensichtlich von Englands "Sportler des Jahrhunderts" Bobby Moore gefoult, dies jedoch so klar vor der Strafraumgrenze, dass man den von Netzer mit viel Glück verwandelten Elfmeter durchaus als Geschenk ansehen kann. Müller machte anschließend mit einem für ihn wahrlich typischen Tor aus der Drehung den Deckel zu.

Vieles an diesem Spiel wirkt aus heutiger Sicht wie aus einer anderen Welt. Das fängt beim für aktuelle Zustände geradezu gemächlichen Spieltempo an, geht über absurde Frisuren- und Trainingsanzugmode bis hin zum Kommentar Werner Schneiders, der praktisch jeden Ballkontakt mit dem entsprechenden Spielernamen begleitet. Dazu noch der damalige EM-Modus mit Hin- und Rückspiel sowie die heute eher albern wirkenden "Deutschland vor, noch ein Tor!"-Sprechchöre von den Rängen - ja, die Zeiten haben sich wirklich geändert...

Dass man mit dieser DVD ein feines Stück Sportgeschichte in den Händen hält, täuscht nicht darüber hinweg, dass die Bildqualität allenfalls mäßig ist. Das Grün des Rasens flimmert unnatürlich und augenmalträtierend, die Digitalisierung des Ausgangsmaterials ist durch die deutlich sichtbaren Artefakte wenig sorgfältig ausgeführt worden. Zudem wird schon bei der ersten Folge der Reihe ein Manko der gesamten EM-Edition offensichtlich: Das die WM-Sammlung so interessant machende zusätzliche Material (Interviews, Vorberichte, Halbzeitanalysen etc.) fehlt hier praktisch auf jeder DVD, auf einigen gibt es geradezu eine böse Überraschung, doch dazu an entsprechender Stelle mehr...

Bewertung: 4 von 5