Dienstag, 14. September 2010

Nachtgedanken (098)

Das Schöne an meinen literarischen Streifzügen für diese Rubrik ist das immer neue Finden von Aussagen, die einem selbst in irgendeiner Form wichtig oder zutreffend erscheinen. So ging es mir auch wieder dieses Mal, als ich auf das Gedicht "Der Spruch" des im Ersten Weltkrieg gefallenen Ernst Stadler (1883-1914) stieß.

In einem alten Buche stieß ich auf ein Wort,
Das traf mich wie ein Schlag und brennt durch meine Tage fort:
Und wenn ich mich an trübe Lust vergeb,
Schein, Lug und Trug zu mir anstatt des Wesens hebe,
Wenn ich gefällig mich mit raschem Sinn belüge,
Als wäre Dunkles klar, als wenn nicht Leben tausend wild verschlossne Tor trüge,
Und Worte wieder spreche, deren Weite nie ich ausgefühlt,
Und Dinge fasse, deren Sein mich niemals aufgewühlt,
Wenn mich willkommner Traum mit Sammethänden streicht,
Und Tag und Wirklichkeit von mir entweicht,
Der Welt entfremdet, fremd dem tiefsten Ich,
Dann steht das Wort mir auf: Mensch, werde wesentlich!