In der 9. Klasse bekamen wir eine neue Musiklehrerin vor die Nase gesetzt. Diese peinigte uns sowohl mit der üblichen Propaganda-Tonkunst, von der mir ganz besonders Paul Dessaus an Arnold Schönberg und Alban Berg angelehntes und somit schwerverdauliches "Lilo Herrmann"-Melodram (lässt sich auf den üblichen Videoportalen nachhören) in peinigender Erinnerung geblieben ist. Allerdings wurde auch versucht, neben dem jetzt dankenswerterweise reduzierten Gesangsanteil (schließlich befand sich so mancher im Stimmbruch), den überwiegend gelangweilten Teenagern Klassik oder Jazz näherzubringen. Das fand man damals natürlich schrecklich öde, der interessierte Blick über den musikalischen Tellerand entwickelte sich bei mir erst deutlich später.
Ein- oder zweimal im Schuljahr wurde uns aber ein ganz besonderes Angebot angetragen. Wir sollten ganz einfach unsere favorisierte Musik anschleppen, diese wurde in einen Kassettenrecorder eingeworfen und danach lehrerseitig diskutiert. Freilich differierte da der männliche und weibliche Geschmack in der Schülerschaft erheblich. Wir halbstarken Jungs verleierten die Augen, wenn uns solche "Perlen" wie "Joe le Taxi" von Vanessa Paradis an den Kopf flogen und die holde Weiblichkeit konnte nix mit den Ärzten oder den Toten Hosen anfangen.
Mein Ehrgeiz bestand bei diesen Gelegenheiten immer darin, etwas mitzubringen, das garantiert keiner auf dem Plan hatte, unsere Lehrerin am Allerwenigsten. Persönliche Antipathie? Rache für "Lilo Herrmann"? Ich weiß es nicht mehr. So malträtierte ich die Klasse einmal mit "Galleons Of Stone" von The Art Of Noise und eines Tages rappelte es mich vollständig, als ich Abigail Meads und Nigel Gouldings "Full Metal Jacket" aus dem gleichnamigen Kubrick-Film (der in der DDR als "zu zynisch" verboten war) anschleppte. Ich hatte den Track, der mit seinen schrägen Tempiwechseln und dem eindringlichen Gebrüll des legendären R. Lee Ermey alles andere als mehrheitsfähig war, zwar seltsamerweise im ostdeutschen Radio ergattert, aber mit wilden Drums angereicherte Marching Chants des United States Marine Corps in einer sozialistischen Schule öffentlich aufzuführen, wirkt in der Rückschau dann doch etwas leichtsinnig-verrückt. Ein Glück, dass die Dame im zweiten Fach kein Englisch gab, sonst hätte das mit großem Ärger enden können...