Montag, 7. Juni 2010

Buch-Rezensionen (190): Ann-Charlott Settgast - Zirkuskinder (1959)

(Cover: Amazon.de)

Dieses noch vor dem Bau der Berliner Mauer erschienene Kinderbuch der 1988 verstorbenen Mecklenburger Schriftstellerin Ann-Charlott Settgast ist ein gutes Beispiel dafür, wie in einer für sich doch recht spannenden und unterhaltsamen Handlung ganz DDR-typisch der erhobene Zeigefinger dauerpräsent und ideologische Einflussnahme allgegenwärtig ist. Das macht das Buch zu einem trotzdem lesenswerten Zeitdokument.

Erzählt wird die Geschichte des zwölfjährigen Waisenjungen Fritz, genannt Fiete, und seiner jüngeren Schwester Susi. Diese werden von ihrem Onkel, der in einem Zirkus als Dompteur arbeitet, zu sich genommen. Besonders der aufschneiderische Fiete ist in der neuen abenteuerlichen Umgebung ganz in seinem Element, prahlt er doch schon bald gegenüber einem Zeitungsreporter mit seiner unmittelbar bevorstehenden Karriere als großer Dressurstar. Die zehnjährige Susi hingegen fühlt sich im Zirkus ganz und gar nicht wohl und wird aufgrund eines missverstandenen Scherzes ihres Onkels von Zukunftsängsten geplagt. Und auch wenn sich die beiden schnell mit den anderen Zirkuskindern anfreunden, bringt sich Fiete mit seiner großen Klappe mehr als einmal in Teufels Küche, während die heimwehgeplagte Susi still vor sich hin leidet.

Eine zentrale Figur des Buches ist der dreizehnjährige Bruno, genannt Bumm. Auf den ohne Vater aufwachsenden Sohn der Bärendompteuse wird praktisch alles an negativen Eigenschaften projiziert, was das damalige DDR-Gesellschaftsbild so hergab. In den Illustrationen von Hans Wiegandt unsympathisch mit Schiebermütze und Ganovenoutfit gezeichnet, kein Mitglied bei den Pionieren, grob und unkameradschaftlich gegenüber den anderen Kindern und darüber hinaus noch ein Fan von westlichen Groschenromanen, hier mit dem schon seit der Zeit der Weimarer Republik verwendeten Kampfbegriff "Schund- und Schmutzliteratur" versehen. Als dann auch noch drei Rhesusaffen aus dem Zirkus gestohlen werden, fällt daher der Verdacht logischerweise schnell auf Bumm, der zu allem Überfluss auch noch Richtung Westen verschwindet...

Natürlich wird am Ende alles zur allseitigen Zufriedenheit gelöst und auch Bumm, frisch bekehrt und geläutert, wird als neuer Pionier in die sozialistische Gemeinschaft der Zirkuskinder aufgenommen. Das wirkt aus heutiger Sicht sehr klischeehaft, da hier wirklich alle Stereotype der Zeit Verwendung finden. Ein typisches Buch der 50er Jahre und deren Moralvorstellungen, die sich vor allem an der Wandlung der Figuren Bumm und Fiete manifestieren, sowie ein Kinderroman mit vielen heute sehr fremdartigen Dingen wie Kinowochenschau oder ein Zirkusgastspiel als tagelanges gesellschaftliches Hauptereignis der Stadt. Diese Zeiten sind wahrlich lange vorbei. Dennoch: durchaus immer noch als lesenswert zu betrachten, interessierte Kinder (die landestypische Altersempfehlung nennt eine geeignetes Lesealter ab 11 Jahren) sollten aber die eine oder andere erklärende Anmerkung von Erwachsenen mit auf den Weg bekommen.

Bewertung: 4 von 5