(Cover: Amazon.de)
08. Juli 1982. Die "Nacht von Sevilla". Obwohl die Partie an Dramatik und stellenweise auch an Klasse nichts zu wünschen übrig lässt, wollte sich beim Anschauen bei mir keine wirkliche Begeisterung einstellen und das gar nicht mal ausschließlich wegen Toni Schumachers vieldiskutierter (und in seinem Skandalbuch "Anpfiff" von ihm selbst beschönigter) Attacke auf Patrick Battiston. Sondern vielmehr wegen einer ganzen Ansammlung von unschönen Dingen, die sich bekanntlich auch schon im Vorfeld des Spiels beim Turnier in Spanien abgespielt hatten. Da wäre zuallererst die sogenannte "Schande von Gijón", beschönigend auch manchmal "Der Nichtangriffspakt von Gijón" genannt. Ich erinnere mich noch gut, dass ich damals als 10jähriger nachmittags (das Halbfinale durfte ich dann selbstredend nicht sehen, mit langem Aufbleiben gingen meine Eltern zu dieser Zeit sehr restriktiv um) völlig fassungslos vor dem Fernseher saß und die Welt nicht mehr verstand. Das deutsch-österreichische Ballgeschiebe zu begreifen, war ja schließlich auch einem Erwachsenen nahezu unmöglich, einem Kind erschloß sich das nun gleich gar nicht.
Das Begleitheft zitiert wohl völlig zu Recht Harry Valérien:
"Es gab wohl noch nie eine derart verhaßte Mannschaft, die bei einer WM so weit gekommen ist."
Doch damit nicht genug, gleich mehrere Szenen im Spiel machen diese kaltschnäuzige Art, die in so eklatantem Widerspruch zum "Gentlemen-Fußball" vieler anderer DVDs dieser Kollektion (besonders diejenigen von der WM 1966) steht, sehr deutlich, nur kurz zwei Beispiele:
34. Minute: Schumacher gibt dem längst vor ihm stehengebliebenen und sich bereits umgedreht habenden Michel Platini im Vorbeilaufen noch völlig unmotiviert einen "Pferdekuß" mit.
46. Minute: Bernd Förster springt Rocheteau mit einem Kung Fu-Tritt von hinten an und kassiert Gelb (heute wohl klares Rot) und geht ohne die geringste Geste der Entschuldigung wieder in Richtung des eigenen Strafraums.
Und über dieses unglaubliche Foul an Battiston braucht man eigentlich überhaupt keine Diskussionen mehr führen. Der Ball war längst gespielt, der Angriff gilt (gerade aus der Hintertorperspektive wird das ganz klar deutlich) ausschließlich dem Mann, brutaler geht es kaum. Unverständlich ist erstens, dass der Schiedsrichter Schumacher in keinster Weise bestrafte und das zweitens ZDF-Kommentator Rolf Kramer wohl gigantische Tomaten auf den Augen hatte, sprach er doch im weiteren Spielverlauf ununterbrochen von "Zusammenprall", "unbeabsichtigt" oder "unglücklich". Erstaunlich, dass die Franzosen danach ihre stärkste Phase hatten, was wohl dann aber auch zu ihrem Kräfteeinbruch in der Verlängerung führte, da ein Einwechselspieler (Battiston) erneut ausgetauscht werden mußte und somit das Kontingent (damals nur zwei mögliche Einwechslungen) frühzeitig erschöpft war.
Zugegeben: Einen 1:3-Rückstand in der Verlängerung noch auszugleichen verdient Respekt. Aber irgendwie vermiesen mir diese ganzen Vorkommnisse die große Begeisterung für dieses Halbfinale. Zumindestens bleibt den sensationell aufspielenden Franzosen die 2 Jahre darauf gewonnene EM im eigenen Land als kleiner Trost.
Auf jeden Fall sind noch Paul Breitner und vor allem Hans-Peter Briegel zu erwähnen, die ein wirklich grandioses Spiel geboten haben. Gerade Letzterer war ja nur am rackern und rennen! Dagegen hatte der aktuelle Wolfsburger Coach einen sehr indisponierten Tag...
Geradezu wie die Faust aufs Auge zu dieser ganzen verkorksten Angelegenheit passt das wiederum überaus schlampig zusammengestellte Begleitheft. Da wird auf dem Foto des Anschlußtreffers durch Rummenigge Lopez zu Genghini (der zu diesem Zeitpunkt längst ausgewechselt war), Bernd und Karlheinz Förster bekommen bei der Aufstellung das gleiche Foto zugewiesen und Bernd Förster wird auf einem anderen Bild glatt zu Bernd Schuster. Dumm nur, dass wenige Seiten zuvor über das unfreiwillige Nationalmannschafts-Aus Bernd Schusters berichtet wurde...
Um es nicht ganz so verbittert zu sehen, noch ein wenig amüsante Beobachtungen zum Schluß: Paul Breitner geht auf dem Aufstellungs-Foto glatt als Reinhold Messner-Double durch, der damalige französische Präsident François Mitterand soll auf der Tribüne die unerwartete Einwechslung des angeschlagenen Rummenigge mit den Worten "Mon Dieu, Rümmeniesch!" begleitet haben und prollige Goldketten waren wohl anno '82 für Fußballspieler nahezu Pflicht...
Aufgrund des außergewöhnlichen Spiels dennoch die Höchstwertung.
Bewertung: 5 von 5
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