Mittwoch, 24. Dezember 2008

DVD-Rezensionen (109): Linie 1 (1988)

(Cover: Amazon.de)

Filme aus dem westlichen Ausland schafften es - wenn überhaupt - nur mit erheblicher Verzögerung in die Kinos der DDR. Streifen aus der Bundesrepublik hingegen nur in den seltensten Fällen, zu groß einfach die Paranoia der SED-Kulturoberen. Wurde aber ein solcher Film eingekauft, hatte er entweder (wie bei Otto Waalkes und Loriot geschehen) der Unterhaltung zu dienen oder er wurde zu gezielten ideologischen Zwecken genutzt.

So auch diese Verfilmung des Musicalerfolgs aus dem West-Berliner GRIPS-Theater. Schon ein reichliches Jahr nach seinem bundesrepublikanischen Kinostart im Februar 1988 war der Film auch ab Mai 1989 in den ostdeutschen Lichtspielhäusern zu sehen. Die Absicht war mehr als offensichtlich: Der immer mehr von der propagandistischen Stange gehenden Jugend sollten einmal mehr die Schattenseiten des Kapitalismus vor Augen geführt werden, wimmelt es doch in der Geschichte aus der West-Berliner U-Bahn von Pennern, Säufern, Junkies und anderen gescheiterten und am Leben verzweifelten Existenzen.

Dennoch war ich vom Film, den ich damals als knapp 18jähriger im Kino sah, sehr berührt und als ich dann wenige Monate später tatsächlich bei meinem ersten Besuch jenseits der Mauer in einem der gelben Waggons saß, glaubte ich mich wirklich in einer Filmkulisse zu befinden. Dieses Gefühl kam beim Anschauen der DVD sofort wieder, schon alleine dafür gebührt KINOWELT für die endlich erfolgte Veröffentlichung auf DVD mein Dank!

Ganz davon abgesehen bildet der Film ein prima Sittenbild der 80er im Allgemeinen und der Sondersituation im Westteil der Stadt ab. Da feiern neonbunte (und abenteuerlich gemusterte) Klamotten, wild gestylte Frisuren und der Sound des Jahrzehnts fröhliche Auferstehung.

Musicaltypisch stehen natürlich die gesungenen Parts im Mittelpunkt. Highlights hierbei das Gänsehaut verursachende "Du bist schön, auch wenn Du weinst", die herrlich fiesen "Wilmersdorfer Witwen" und der von Dieter Landuris als rappender (!) Hippie (!) gegebene "Der Anmacher" Horst. Ich darf verraten, dass mich diese Figur zu meinem heute genutzten Internet-Pseudonym inspiriert hat...

Da die meisten der Akteure in mehreren Rollen agieren, macht es Spaß, sie hinter ihren jeweiligen Masken zu entdecken, was nicht immer auf den ersten Blick gelingt. Inka Groetschel in der Hauptrolle ist zwar sicherlich ein Hingucker, allerdings wird sie schauspielerisch deutlich von Dieter Landuris als Bambi, Petra Zieser als Bisi, Ilona Schulz als Maria und vor allem Andreas Schmidt als Humphrey an die Wand gespielt. Kabarett-Legende Dieter Hildebrandt hat mit einem kleinen, aber leicht zu entschlüsselnden Insider-Gag einen sekundenlangen Gastauftritt.

Das Bonusmaterial der DVD ist nicht besonders umfangreich, aber mit seinen Interviews und Darstellerinfos in Ordnung. Der Ton liegt zwar nur in Dolby Digital Stereo vor, dies aber glasklar und bei einem 20 Jahre alten Film zu vertreten. Besonderes Lob für das Bild. Gestochen scharf und farbenkräftig. Prima!

Insgesamt eine lohnenswerte Zeitreise mit guten Darstellern, mitreißender Musik und einem gerüttelt Maß Kultfaktor.

Bewertung:  5 von 5