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Im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland veröffentlichte die "BILD am Sonntag" zusammen mit dem Sammelserien-Spezialisten DeAgostini eine ursprünglich auf 30 Ausgaben angelegte, dann aber mit den hinzugefügten sieben Spielen der DFB-Elf bei der WM auf 37 DVDs erweiterte Reihe, die große Partien der deutschen Elf bei Weltmeisterschaften sowie einige Klassiker ohne deutsche Beteiligung in nicht-chronologischer Reihenfolge enthielt. Allen Scheiben war ein Begleitheft mit weiterführenden Informationen über Vorgeschichte, Hintergründe sowie statistischen Elementen wie Aufstellungen etc. beigefügt.
Die vierte Ausgabe der Edition enthält das im Elfmeterschießen entschiedene Halbfinale der für Deutschland letztlich mit dem Titel geendeten Weltmeisterschaft 1990 in Italien zwischen der bundesdeutschen Elf und England. Wieder einmal sehr schön sind die dem Spiel voran- und nachgestellten ZDF-Berichte und Interviews. Dies ist ohnehin die Stärke der Sammlung: Die Matches bekommt man ab und an noch im TV zu sehen, dieses ganze Drumherum dürfte allerdings wirklich Seltenheitswert besitzen. So gibt es unter anderem einen recht witzigen Beitrag über den besten Mann des Spiels, Paul Gascoigne (damals soeben 23 geworden), dessen tolle Leistung im Rückblick auf seine Karriere doch äußerst tragisch wirkt. Hoch(manchmal über-)motiviert, zu Späßchen aufgelegt und voll austrainiert, jammerschade, dass der Mann nicht mehr aus seinen Anlagen gemacht und einen dermaßenen Niedergang erlebt hat. Durch seine im Spiel erhaltene gelbe Karte war er für das eventuelle Finale gesperrt, die Tragik ist an seinem Gesicht deutlich abzulesen.
Ich hatte das Spiel vor Anschaffung der DVD lange nicht mehr gesehen, die deutsche Leistung aber immer stärker im Gedächtnis, als sie sich mir dann schlußendlich bot. Die erste Halbzeit war ein Totalausfall und gerade der spätere Bundestrainer Klinsmann hatte einen hundsmiserablen Tag erwischt, bis auf einen Kopfball gelang ihm rein gar nichts. Die ersten 20 Minuten der zweiten Hälfte sind sehr gut anzusehen, ebenso die Verlängerung. Unter dem Strich wäre England allerdings auch ein würdiger Sieger gewesen, da gibt es gar keine Diskussion. Eine Schlacht auf Augenhöhe sozusagen.
Über die Fans von der Insel kann man ja einiges Negative sagen, aber wie diese ihr Team mit Gesängen anfeuerten (trotz eines erst 10 Minuten vor Schluß ausgeglichenen Rückstands), das verdiente schon Respekt! Da wäre in so manchem deutschen Stadion Totenstille gewesen...
Wie immer fällt einem mit dem Abstand einiger Jahre so manche Veränderung auf. So hätten nach der heutigen Regelauslegung sowohl Parker als auch Brehme wegen wüsten Grätschen von hinten vom Platz fliegen müssen. So gab es jeweils nur Gelb.
Ganz mies: Der Originalkommentar von Dieter Kürten und Otto Rehhagel. Das Niveau dieses dumme Geschwätzes wird nur noch von der Kombination Heribert Faßbender und Karl-Heinz Rummenigge bei anderen Partien dieser WM erreicht. In der Eingangsreportage wird der neben den Kommentatoren als Redakteur fungierende junge Marcel Reif (mit drolliger Paul Breitner-Gedächtnisfrisur) gezeigt.
Nur einmal zeigt Dieter Kürten geradezu seherische Fähigkeiten, als er eine Minute vor Schluß der ersten Verlängerung bemerkt: "Die Engländer werden müde. Das sieht man an Waddle, das sieht man an Pearce." Tja - und welche Spieler versemmeln ihre Elfmeter?
Etwas zu meckern gibt es auch am Begleitheft. Da wird beispielsweise behauptet, dass es anschließend in England Diskussionen gab, dass Chris Waddles Vokuhila-Frisur an seinem Fehlschuß schuld war. Blöd nur, dass er gut sichtbar an diesem Tag kurze Haare hatte, die "Mullet"-Matte trug er nur bis zum Viertelfinale gegen Kamerun.
Genauso unsinnig ist die mehrfach im Heft aufgestellte Behauptung, Bodo Illgner habe in einem Reflex den Elfmeter von Stuart Pearce pariert. Er wurde schlicht und einfach angeschossen, selbst Franz Beckenbauer sagte das in einem Ende 1990 ausgestrahlten ARD-WM-Rückblick so, den ich immer noch irgendwo auf VHS mein eigen nenne.
Richtig begeistert war ich von dem fairen Verhalten beider Teams und Trainer nach dem Schluß. Da wurde gratuliert, getröstet und ohne ein böses Wort in den Arm genommen. Ich möchte nur im Gegensatz dazu an das deutsche Ausscheiden bei der WM 1998 erinnern, als Berti Vogts ohne Gratulation an kroatisches Team oder Trainer in der Kabine verschwand und darüber hinaus im Anschluß noch absurde Verschwörungstheorien aufstellte.
Als kurioses Gimmick zum Schluß gibt es auf der DVD nach der Partie ein Interview mit Oskar Lafontaine!
Bewertung: 4 von 5
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