Freitag, 11. Januar 2008
Buch-Rezensionen (002): Toni Schumacher - Anpfiff (2007)
Selbsternannte Enthüllungsbücher zu lesen, macht in meinen Augen an für sich nur mit dem Abstand einiger Jahre Sinn, da sich erst im Nachhinein der Wahrheitsgehalt der Behauptungen überprüfen lässt. Schon so mancher journalistische "Schnellschuß" hat sich im Laufe der nächsten Monate als Rohrkrepierer entpuppt. Was gibt es also 21 Jahre "danach" über Toni Schumachers "Anpfiff" zu sagen?
Die Fakten sind bekannt. Die Veröffentlichung mit dem Untertitel "Enthüllungen über den deutschen Fußball" führten zum Rausschmiß aus Nationalmannschaft und dem 1. FC Köln. Galt Schumacher nach dem '82er WM-Foul an Patrick Battiston als Brutalo der Nation, hatte er sich nun mit "Anpfiff" den Ruf des "Nestbeschmutzers" erworben. Zu Recht?
Das Buch ist keine Autobiographie. Kindheit und Jugend Schumachers werden nur gestreift, ebenso der Weg zum Bundesligaprofi und Nationalspieler. Umso mehr Platz wird den Jahren von 1982 bis 1986 eingeräumt, die Weltmeisterschaften beider Jahre bilden gewissermaßen eine Klammer des Inhalts. Die konsequente Setzung des Worts "Foul" in Anführungszeichen bei der Beschreibung der Attacke gegen Battiston hinterlässt einen faden Beigeschmack. So oft sich Schumacher auch verteidigen und seine Unschuld beteuern will, dem Fernsehen mit seinen Zeitlupen die Schuld gibt - diese Aktion wird wohl nur er als unabsichtich ansehen. Die Geschichte der medieninszenierten "Versöhnung" der beiden liest sich auch recht bitter. Umso interessanter der Rest:
Schumacher teilt keine Rundumschläge aus sondern differenziert. Kritisiert Paul Breitner ob seines wenig professionellen Lebenswandels mit Zigarren, Alkohol und Pokerrunden, zollt im aber den höchsten sportlichen Respekt. Wer trotz seiner Laster Höchstleistungen auf dem Platz bringt, erntet durchaus lobende Worte. Ebenso Journalisten. Kritiker werden respektiert, unbewiesene Kampagnen fahrende Schreiberlinge beim Namen genannt. Die von Schumacher aufgestellte Behauptung, dass gewisse Medien bei verweigerter Zusammenarbeit mit Negativberichterstattung drohen, darf man aufgrund diverser Vorfälle in den letzten Jahren als gegeben ansehen.
Ein Hauptgrund des damaligen Skandals war die angesprochene Dopingproblematik, besser ausgedrückt als "fit spritzen". Einst als dreiste Lüge abgetan, weiß man es heute wohl besser.
Geradezu verblüffend sind Schumachers Ausführungen zur Unprofessionalität in DFB und den Bundesligaclubs. Seine Vorstellungen von modernen Fußballarenen mit angeschlossener Infrastruktur wirken aus heutiger Perspektive geradezu seherisch. Besonderes Lob bekommen schon damals die Münchener Bayern und im Speziellen Uli Hoeneß, Schelte dagegen verknöcherte DFB-Funktionäre, größenwahnsinnige Clubpräsidenten und satte Jungprofis. Ebenfalls bestürzend aktuell, auch wenn wohl durch die WM 2006 insgesamt eine spürbare Erneuerung zu verzeichnen ist.
Richtig persönlich angegriffen werden im Buch nur zwei damals aktive Fußballer: Karl-Heinz Rummenigge und Uli Stein. Bei beiden spielen die Vorkommnisse bei der WM in Mexiko eine Rolle. Das die Zeit viele Wunden heilt, beweist die Tatsache, dass Schumacher, der laut Buchtext keinerlei Chance mehr auf eine Verständigung mit Uli Stein sah und "keine Zeile mehr für diese Type verschwenden" wollte, vor zwei Jahren eben diesem in einer WM-Show der ARD um den Hals fiel und mit Stein launige Geschichten aus dem damaligen deutschen Mannschaftsquartier zum Besten gab, so ganz nach dem Motto "Weißt Du noch?"
Fazit: Sieht man einmal von den Erklärungsversuchen zu Battiston ab, ist "Anpfiff" eine durchaus noch aktuell wirkende Lagebeurteilung des deutschen Fußballs, zu Unrecht fast vergessen. Einige Entwicklungen wie das Bosman-Urteil oder der TV-Gelder-Irrsinn durch das Pay-TV waren noch nicht vorhersehbar, aber viele andere Dinge verblüffen durch ihre fortbestehende Gültigkeit. Wer die Gelegenheit zum Erwerb hat - kaufen!
Bewertung: 4 von 5
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