08. Dezember 1989, mein 18. Geburtstag. Fast genau einen Monat ist der Mauerfall jetzt her, doch meine Familie hat sich bis jetzt dem Wahnsinn entzogen, der in den letzten Wochen auf Straßen und in den Zügen Richtung Bundesrepublik oder Westberlin ausgebrochen ist. Erst jezt, wo sich alles etwas in geordnete Bahnen bewegt hat, soll auch unser erster Besuch jenseits der Mauer erfolgen.
Es ist Freitag und eigentlich bin ich krankgeschrieben, als sich unser Wägelchen Richtung Berlin in Bewegung setzt. Das einzigartig euphorische Gefühl - oder ist es nur ein Kulturschock? - das ich den ganzen Tag über habe, ist später nie wieder in solch einer Intensität aufgetreten. Das war aber auch alles sehr viel auf einmal. Ein Trip mit der U-Bahn, bei dem ich mich sofort in den erst in jenem Jahr gesehenen Film "Linie 1" versetzt fühlte, natürlich die bunte Warenwelt - (gerade in der Vorweihnachtszeit), selbst eine BRAVO mußte man als eigentlich schon jenseits der Zielgruppe Befindlicher kaufen.
Auf der Rückfahrt bin ich regelrecht hibbelig. Für (für uns als nicht mit Westverwandschaft gesegnete DDR-Familie) utopische 225 DM haben wir uns eine Kompakt-Stereoanlage geleistet, natürlich als unbedarfte Ossis nicht wissend, dass man auch im "Goldenen Westen" für diesen Spottpreis nur minderwertigen Schrott bekommt. Und am Freitag kommt ausgerechnet eine meiner Lieblings-Mitschnittsendungen bei DT64 - das "Wunschkonzert" mit Günter Schneidewind. Denn in der DDR sind aktuelle Tonträger nicht erhältlich, das Radio muß das richten. Und so wird auf Urheberrechte gepfiffen und selbst ganze Alben fein säuberlich ohne störendes Gequassel gesendet, mit ordentlichem Päuschen vorn und hinten, damit auch ja alles perfekt ist.
Und nun heißt es für mich also: Tschüß, oller KR650, hallo Stereosound! Den ganzen Abend hocke ich vor der mehrstündigen Sendung, banne Titel um Titel auf die Kassette, ohne Zeit zu haben, das Ergatterte einmal probezuhören. Die Ernüchterung kommt am nächsten Tag als nur verrauschtes dünnes Gequake aus den Plastikboxen tröpfelt. Was zur Hölle...?
Es ist also doch nicht alles Gold, was in der neuen Freiheit glänzt, eine erste Erfahrung zu recht frühem Zeitpunkt. Ein Song von jener denkwürdigen Aufnahmesession ist mir noch sehr präsent, "We Didn't Start The Fire" von Billy Joel, ohnehin ein sehr bemerkenswertes Stück Musik.
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